Detroit | Chevrolet Corvette Stingray |
Unter den hochkarätigen Sportwagen war die Corvette so günstig wie kein anderer
Im scharfen Reich der Mitte: Das ändert sich auch mit der achten Generation der „Vette“ nicht, für die als Coupé mindestens 86.900 Euro aufgerufen werden. Das Cabrio mit elektrischem Hardtop beginnt bei 93.400 Euro. Nahezu selbstverständlich ist die Vollausstattung mit Lederpolstern, achtfach, elektrisch verstellbaren Sportsitzen, einem Head-up-Display oder etwa dem klanggewaltigen Bose-Soundsystem mit 14 Lautsprechern, sowie vielen Fahrerassistenten.
Zudem haben die Amerikaner für ihren flachen Zweisitzer einen hohen Aufwand betrieben und sich beim aktuellen Modell vom Frontmotor verabschiedet. Stattdessen kauert der mächtige 6,2-Liter-Acht-Zylinder-Saugmotor direkt hinter den beiden Sitzen, abgeschottet von den Passagieren und für einen tiefen Schwerpunkt weit unten im Fahrzeugboden positioniert. Das Coupé stellt den Small-Block gut sichtbar unter einer gläsernen Motorraumabdeckung zu Schau, während er beim Cabrio unter der ausladenden Verdeckklappe verschwindet.
Chevrolet Corvette Stingray
Das neue Mittelmotor-Konzept soll die Balance der Corvette spürbar erhöhen und deutlich mehr Agilität mitbringen. Fragt man die US-Boys von Chevy nach dem plötzlichen Sinneswandel geben sie ganz offen zu: „Das Thema Motor im Bug und in Verbindung mit Heckantrieb ist längst ausgereizt und zählt inzwischen zur 67-jährigen Geschichte der Corvette.“
Jetzt hat sich die Marschrichtung geändert. Die Amis wollen endlich die Sportwagen-Elite von Ferrari, Lamborghini und Porsche angreifen. Genau jene, die sie früher immer belächelt haben. Allein schon der V8-Mittelmotor liefert der Corvette hierzu die besten Grundvoraussetzungen, da sich die Gewichtsverteilung im Verhältnis 40 zu 60 erheblich verbessert hat.
Hinzu kommt ein neu abgestimmtes Fahrwerk mit adaptiven Dämpfern (Magnetic Selective Ride Control), welches die Corvette spürbar dynamischer, aber gleichzeitig auch komfortabler gleiten lässt. Ein weiteres Indiz für eine hohe Alltagstauglichkeit sind außerdem die beiden Kofferräume vorne und hinten. Mit einem Fassungsvermögen von insgesamt 357 Litern nehmen sie allerhand Gepäck auf die große Reise mit. Ein weiterer Vorteil des Mittelmotor-Konzepts.
Für Europa etwas weniger Leistung
Wenn es sein muss, ballert die heckgetriebene Corvette Stingray in ultrakurzen 3,5 Sekunden von Null auf Hundert und erstürmt mühelos 296 km/h in der Spitze. In den USA rennt die achte „Vette“ sogar noch schneller und sprintet in unter drei Sekunden auf die 100er-Marke und auf eine Höchstgeschwindigkeit von bis zu 312 km/h. Statt der ursprünglichen 495 PS wie im das nordamerikanische Heimatland üblich, leistet die bei uns angebotene Europa-Version nur 482 PS.
Der Grund: Damit die Corvette die Abgasnorm Euro 6d erfüllt, musste für den europäischen Markt ein zusätzlicher Partikelfilter eingebaut werden, durch den die Corvette auf dem Papier 13 PS einbüßt.
An Kraft mangelt es aber auch der minimal schwächeren Europa-Variante natürlich nicht. Die ist im Überfluss vorhanden und ist trotz drehfreudigem 6,2-Liter schon bei niedrigen Drehzahlen jederzeit abrufbar. Damit die Ölversorgung auch bei der Kurvenhatz oder der Jagd nach schnellen Rundenzeiten auf der Rennstrecke nicht abreißt, hat Chevrolet außerdem den Small-Block-V8 auf Trockensumpfschmierung umgestellt.
Dass es die Amis mit ihrem Muscle-Car sehr ernst nehmen, beweist die Launch-Control, mit der sich beste Beschleunigungsergebnisse erzielen lassen. Dank des ebenfalls serienmäßigen Daten-Rekorders lassen sich weitere Parameter wie Gangwahl, Bremskraft sowie der Motorsound der Corvette sogar auf Video aufzeichnen. Alternativ können mit der Dash-Cam auch die Fahrten im Straßenverkehr überwacht werden. Hierzulande aber weiterhin ein rechtlich umstritten Thema, weil die Aufzeichnungen im schlimmsten Fall sogar gegen den Fahrer verwendet werden können.
Hochwertig verarbeitet
Im Innenraum präsentiert sich die Corvette in einer Mischung aus Klassik und Moderne. Die hochbauende Mittelkonsole neigt sich zum Fahrer. Auf der rechten Hälfte befindet sich eine überaus lange Reihe an Schaltern für die Klimatisierung. Hier können die Sitze beheizt oder belüftet werden oder einfach nur die Temperatur verändert werden. Auf den ersten Blick sorgt die geballte Knopf-Armada für reichlich Verwirrung, doch nach einer kurzen Eingewöhnung erweist sich die massive Anordnung als gar nicht so unübersichtlich, wie es noch zum Anfang erschien. Bei genauerer Betrachtung lässt sich die Logik dahinter erkennen, da alle Bedienfunktionen schön ordentlich für den Fahrer und Beifahrer getrennt sind.
Bei der Materialauswahl hat die Corvette entscheidend zugelegt. Das Leder fühlt sich hochwertig an und die ordentliche Verarbeitung lässt sich mit der trostlos zusammengesteckten Plastiklandschaft aus den vielen Vorgängermodellen nicht mehr vergleichen. Der Fahrer blickt auf ein digitales Kombiinstrument mit zentral angeordnetem Drehzahlmesser. Das Layout des Displays verändert sich, je nachdem welches Fahrprogramm der Fahrer gerade eingelegt hat. Im Reise-Modus säuselt der unter Glas aufgebahrte Achtzylinder sanft sein Lied, und die Corvette legt einen erstaunlichen Fahrkomfort an den Tag, von dem andere Supersportwagen nur träumen. Wechselt der Fahrer hingegen in den schärferen Sport-Modus, verändert die anfangs noch so zahme Corvette unmissverständlich ihren Charakter.
Dr. Jekyll und Mr. Hyde
Überhaupt bietet die Corvette jede Menge Fahrprogramme. Außerdem kann der Fahrer im dynamischen Z-Mode die Lenkung, das Fahrwerk sowie das Ansprechverhalten der Bremsen bis hin zur Traktionskontrolle individuell auf seinen persönlichen Fahrstil einstellen. Dann katapultiert die Corvette nachdrücklich nach vorne, während der V8 im Nacken der Passagiere seine Klangfarbe ändert und tiefgrollend brüllt wie ein wildes Tier auf Beutezug.
Gleichzeitig spannt das adaptive Fahrwerk seine Muskeln und die vorher als etwas zu leichtgängig empfundene Lenkung steht jetzt unmissverständlich auf scharf. Die Corvette fährt sich dank umgepflanztem Mittelmotor sehr agil und vermittelt ihrem Piloten neben einer hohen Präzision auch eine vorhersehbare Rückmeldung. Sie lenkt willig ein, vermittelt einen ausgezeichneten Fahrbahnkontakt, spricht dabei sehr direkt an und gibt sich überaus handlich.
Nur bei Nässe sollte die hohe Performance nicht vollends ausgekostet werden. Dann kann es schon einmal passieren, dass die Vette trotz gut abgestimmten ESP mit ihren 305er Michelin-Walzen am Heck schwänzelt. Auch beim übereifrigen Herunterschalten auf feuchter Fahrbahn ist Vorsicht geboten, ansonsten kündigt die Corvette so manches Mal einen Dreher an und droht im Straßengraben zu landen. Doch auch das gemütliche Cruisen mit dem Muscle-Car hat seinen Reiz. Zumal die Corvette für einen dynamischen Sportwagen mit einem überraschend hohen Fahrkomfort aufwartet.
ReiseTravel Fact: Bei ruhiger Fahrweise lässt sich auch problemlos der angegebene Durchschnittsverbrauch von 12,1 Litern erzielen. Ohne die serienmäßige Zylinderabschaltung, die im Teillastbereich vier der acht Brennräume kappt, würde der Konsum wohl um einiges höher liegen. Doch sobald die nach einem Schlachtschiff benannte Corvette wieder zum Angriff bläst, schluckt sie wie ein Matrose auf Landgang. Nach unserer bis oftmals an die Höchstgeschwindigkeit getriebenen Tour quittierte der Bordcomputer abschließende 23,6 Liter. Auch in diesem Punkt ist die Corvette ihrer etablierten Sportwagen-Konkurrenz absolut ebenbürtig. Doch mit 86.900 Euro ist und bleibt die Corvette in ihrem Umfeld weiterhin ein attraktives Schnäppchen.
Chevrolet Corvette Stingray
Länge x Breite x Höhe (m): 4,63 x 1,93 x 1,24
Radstand (m): 2,72
Antrieb: V8-Benziner, 6162 ccm, Mittelmotor, Heckantrieb, 8-Gang-Doppelkupplungsgetriebe
Leistung: 354 kW / 482 PS bei 6450 U/min
Max. Drehmoment: 613 Nm bei 4500 U/min
Höchstgeschwindigkeit: 296 km/h
Beschleunigung 0 auf 100 km/h: 3,5 Sek.
WLTP-Durchschnittsverbrauch: 12,1 Liter
CO2-Emissionen: 277 g/km
Effizienzklasse: G
Leergewicht / Zuladung: min. 1730 kg / max. 250 kg
Kofferraumvolumen: 357 Liter
Basispreis 86.900 Euro
Ein Beitrag für ReiseTravel von Guido Borck.
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