Berlin

Ein Haus voller Geschichte(n) - zwischen Alexanderplatz und Prenzlauer Berg: Eigentlich ist das Hotel Soho House vom „Private Members Club“ denkmalgeschützt!

London: Seine Zentrale aber hat dieser englische Club, samt Restaurant, Hotel und Fitnesscenter, in London.

Das Haus an der Torstraße hat eine bemerkenswerte Geschichte:  

SOHO Haus Berlin by ReiseTravel.eu

Symbol für einige der bewegtesten Jahrzehnte in der Entwicklung von Berlin. In den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts erwarb ein Kaufhausbetreiber die Immobilie des 1828 errichteten Exerzierhauses des Kaiser-Alexander-Garde-Grenadier-Regiments Nr. 1 an der damaligen Lothringer Straße 1.

Das Grundstück lag zu dieser Zeit noch außerhalb der Berliner Zollmauer. Die jüdischen Geschäftsleute Hermann Golluber und Hugo Haller ließen von 1927 bis 1929 das Kredit-Kaufhaus Jonass & Co. errichten.

Ihr Konzept der Teilzahlung war bahnbrechend: Die Kunden zahlten ein Viertel des Kaufpreises, erhielten dafür einen Kaufschein und konnten den Rest in vier Monatsraten abzahlen. Die Möglichkeit des Ratenkaufs kam vor allem der finanziell schwachen Bevölkerung im nahe gelegenen Scheunenviertel und den Mietskasernen an der Prenzlauer Allee entgegen. Für die kleinen Leute gab es sogar nach der 7. Etage des Kaufhauses ein Dachrestaurant.

Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten im Jahre 1933 wurden die jüdischen Teilhaber enteignet, d. h. das Haus wurde arisiert. Daraufhin wechselten Jonass & Co. ins Alexanderhaus am Alexanderplatz.

SOHO Haus Berlin by ReiseTravel.eu

Einst Propagandatempel – heute Privatclub

Zunächst wurde das leer stehende pompöse Gebäude an die Leitung der Reichsjugendführung vermietet, später an die NSDAP verkauft. Baldur von Schirach, Reichsjugendführer, (später Nachfolger Artur Axmann) residierte hier mit seiner Reichszentrale. Als Leiter der Hitlerjugend machte er das Haus zur Zentrale seiner Organisation. Betreut wurden von hier aus etwa 6 Millionen Mitglieder der HJ.

Nach dem Krieg zog 1945 nahtlos die SED ein, die Sozialistische Einheitspartei der DDR. Vorangetrieben wurde hier die Übernahme des stalinistischen Parteimodells, die eigene Partei von Kritikern „gesäubert“ und politisch begründete Todesurteile gegen Regimegegner ausgesprochen. Im Haus der Einheit in der Torstraße hatten auch der erste DDR-Präsident Wilhelm Pieck sowie der Ministerpräsident Otto Grotewohl ihre Büros.

SOHO Haus Berlin by ReiseTravel.eu

Das Pieck-Arbeitszimmer in der dritten Etage mit zahlreichen Regalen, Büchern und Utensilien ist als Gedenkzimmer erhalten. Selbst als Präsident bewahrte der gelernte Tischler in seinem Schreibtisch einen Hammer, einen Zollstock, einen Bohrer, eine Kneifzange und anderes Werkzeug auf.

Wilhelm Pieck (1876-1960) wurde in Guben geboren. Hier verbrachte der „Staatpräsident“ der DDR seine Jugend. Sein Geburtshaus liegt heute in Polen. Aktuell ein ganz normales Wohnhaus: Rózana 5, 66-620 Gubin

Wilhelm Pieck, Geburtshaus, Guben, Rozana 5, 66-620 Gubin, by ReiseTravel.eu

Von 1962 bis 1989 befand sich im Gebäude ein Museum zur Erinnerung an Wilhelm Pieck. Heute erinnert nur eine „Gedenktafel“.

Nach Auszug von ZK und Politbüro war hier ab 1959 Platz für das Institut für Marxismus-Leninismus (IML) mit Parteiarchiv im Keller. Die Institutionen wurden nach der Wende aufgelöst und die Dokumente in das Bundesarchiv überführt. Ab 1995 stand die Immobilie leer.

SOHO Haus Berlin by ReiseTravel.eu

Der Kiez zur NS-Zeit

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde die Berliner Kiezgegend um das Jonass-Haus die sogenannte „Horst-Wessel Stadt“.

SA-Führer Wessel war 1930 ermordet worden und wurde von den Nazis als Märtyrer verherrlicht. Sein Grab befindet sich direkt gegenüber der Torstraße auf dem St.-Nikolai-Friedhof. Der Wesselkult ging so weit, dass auch das Krankenhaus im Friedrichshain, der Bülowplatz, die Volksbühne und das heutige Karl-Liebknecht-Haus den Namen Horst Wessel erhielten. Auf dem Friedhof steht heute noch ein Stein mit der Inschrift für den Vater von Wessel. Auch zu DDR-Zeiten war dies ein Treffpunkt von HW-Fans und Neonazis.

Luxushotel und Soho-Partytempel

Im Jahr 1996 erhielt eine jüdische Erbengemeinschaft ihre Liegenschaft Torstraße 1 zurück. Pläne zur Nutzung als Hotel, als Verwaltungssitz einer Berliner Wohnungsbaugenossenschaft oder als Bürogebäude fanden keine Interessenten. Deshalb boten die Erben den Komplex weltweit zum Kauf. 2007 erwarb eine deutsch-britische Investorengruppe den Komplex für neun Millionen Euro. Die neuen Eigentümer veranlassten eine denkmalgerechte Sanierung.

30 Millionen Euro kostete die Einrichtung des Soho-Hauses, seit 2010 nach internationalen Vorbildern funktionierenden Projektes einer gehobenen Wohn- und Arbeitsstätte für den Jetset. Das Soho Haus versteht sich als ein Private Member's Club für Künstler, Journalisten, Regisseure und Manager aus dem Medienbereich. Ein Zentrum für Kreative in Berlin. Wirtschaftsmanager, Banker und Politiker sind ausdrücklich unerwünscht. Der Club umfasst Restaurants, Bars, einen großen SPA- und Fitnessbereich, ein Kino, 65 Hotelzimmer, 20 Full-Service-Apartments, 4 Lofts sowie eine Vielzahl an Veranstaltungsräumen, welche sowohl von Mitgliedern als auch Nichtmitgliedern genutzt werden können. Ob für Abendessen, Cocktailempfang oder Hochzeitsparties - die Eventkapazitäten des Soho House Berlin bieten Atmosphäre, Design und ein einzigartiges Flair.

Für die exklusive Soho-Gesellschaft wurde der Swimmingpool auf die Dachterrasse platziert. Voraussetzung für die Nutzung des Soho-House ist die Clubmitgliedschaft. Haussprache ist ausschließlich englisch. Jedes Jahr steigt ein Hey-Woman-Markt. Bei diesem Designer Flohmarkt warten auf die Besucherinnen viele Schätze aus Kleiderschränken, Schuhe und mehr. „Das Soho House Berlin überzeugt mit Stil, Eleganz und einem unverwechselbaren Flair. Stars wie Adele, George Clooney und Madonna wählten die Suite im Soho House als Bleibe während ihrer Berlin-Besuche. SOHO bleibt ein Edelclub der feinsten Sorte“, bewertet das Onlineportal Meet Berlin.

ReiseTravel Fact: Leider haben nur die wenigsten Gäste ein Interesse an der erstaunlichen Geschichte dieses Hauses im späten Bauhausstil.

Soho House Berlin, Torstraße 1, D-10119 Berlin, +49 (0)30 405044 440. events@sohohouseberlin.com - http://www.sohohouseberlin.de/

ReiseTravel Buchtipp: Torstraße 1 von Sybil Volks, dtv Verlag:

Torstraße 1 von Sybil Volks, dtv Verlag

Roman: Für die letzte Party ihres Lebens steht Elsa vor dem Soho House in der Torstraße 1, das voller Erinnerungen für sie ist. Hier kam sie vor achtzig Jahren zur Welt, als das Kaufhaus Jonass glanzvoll eröffnete. Zur selben Stunde wurde Bernhard geboren, dessen Vater das Haus mit gebaut hat. Zwischen den beiden Kindern und ihren Familien knüpft sich ein enges Band. Sie alle müssen erleben, wie die Zentrale der Hitlerjugend in das Kaufhaus einzieht und die jüdischen Besitzer aus Deutschland vertrieben werden. Nach dem Krieg wird das Gebäude zum Institut für Marxismus-Leninismus der SED, wo Bernhard zu arbeiten beginnt. Krieg und Mauer trennen die Familien - doch Elsa und Bernhard bleiben einander nahe. Ein atmosphärischer Roman über Liebe und Zugehörigkeit - ausgehend von der wahren Geschichte des Hauses in der Torstraße 1.

Torstraße 1 von Sybil Volks, dtv Verlag. www.dtv.de

Das Buch kostet im Buchhandel 10,95 Euro.

Auch erhältlich als E-Book sowie als Hörbuch. Zurzeit wird der Roman als Serie adaptiert von X Filme, den Produzenten von Babylon Berlin. https://sybil-volks.de

Ein Beitrag für ReiseTravel von Günter Knackfuß. Freier Journalist.

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