Berlin | Heimatkunde mit Klaus Nothnagel |
Haarscharfe und genaue Beobachtungen aus der Sicht Künstlers
Heimatkunde mit Klaus Nothnagel: Seine Heimatbühne ist das Berliner Theater „sinn & ton“, dass von seiner Gattin Christine Marx geleitet wird. Mit Kamera, Fahrrad, Notizbuch und Kugelschreiber erkundet er Berlin und Brandenburg, immer auf der Suche nach Besonderheiten. Er selber nennt das heimatkundliche Expeditionen. Dabei geht es Klaus Nothnagel vor allem um hässliche, skurrile, lächerliche Orte, Namen, Werbetafeln, Ladenschilder und Hinweistafeln an Gebäuden und Plätzen.
Klaus Nothnagel begrüßt die Zuschauer mit dem „schönsten Guten Abend, den man sich für einen Künstler vorstellen kann. Bitte kommen Sie doch alle einmal auf die Bühne und sehen sich an. Sie werden erfreut feststellen, der Saal ist ausverkauft. Ach so, alle auf die Bühne geht ja nicht. Sie sehen aber beim Blick auf ihren Nachbarplatz, es ist nichts mehr frei.“ Den Gästen wird dann mitgeteilt, wie der Begriff Heimat definiert ist. „Ich will es mal so sagen: Alles was 90 Minuten Zugfahrt mit dem Regionalexpress und mit meinem mitgenommen Fahrrad dann noch mal 90 Minuten Radtour angeht, ist Heimat.“
So spricht er die Beusselstraße in Berlin an, zeigt dem Publikum oberirdische Rohre per Dia-Fotos. „Fäkalien werden darin transportiert. Ist das nicht schön? Ich meine die Farbe der Rohre. Sie ist in leuchtenden Pink gehalten. Sie können unter den Rohren spazieren gehen und über ihnen....“ Weiter reden braucht der Autor nicht, weil die Besucher sich vor Lachen krümmen. „Ich bin verzweifelt auf der Suche nach einer anderen Stadt außer Berlin, wo man Fäkalien in oberirdischen Rohren transportiert. Leider bin ich noch nicht fündig geworden.“ Ein achtlos ins Gebüsch gestellter ausrangierter Bürostuhl hat es ihm angetan. Die Rollen des Bürostuhles sind abhanden gekommen. „Wo sind die bloß geblieben? Hat man den Stuhl achtlos aus dem Fenster eines Büros geworfen?“ Der Heimatforscher macht sich so seine Gedanken. Hoffentlich hat der Chef dort nicht einen Mitarbeiter fristlos gefeuert und der Mann wurde gleich mit aus dem Fenster geworfen. Ein Laden für erotische Artikel und das Werbeschild sind auch fotografiert worden und werden den Zuschauern als Dia gezeigt. „Alte Hefte, alte Videos“ ist auf der Werbetafel zu lesen. „Wer möchte schon alte und gebrauchte Hefte aus diesem Geschäft kaufen? Denken Sie doch bitte einmal, welche Spuren die Vorbesitzer dort hinterlassen haben könnten.“ Schon wieder wird eine Aussage mit großem Lachen belohnt. Die Videokassetten dagegen hält er „für kaufenswert. Sie sind garantiert jugendfrei. Sie sind nämlich uralt. Für diese Videos gibt es heutzutage gar keine Videorekorder mehr.“ Klaus Nothnagel fragt dann sein Publikum: „Kennen Sie ein stationäres Handy?“ Er zeigt ein Dia mit einem wirklich noch in Berlin stehenden öffentlichen Fernsprecher. „Ja, liebe Kinder und Jugendliche, das hier ist sozusagen das Handy von Eltern und Großeltern gewesen.“
Das Ortsschild „Kotzen im Havelland“ sorgt ohne Erklärungen für Brüller beim Publikum. Werneuchen verfügt über einen Bahnhof. Schade nur, alle Fenster des Gebäudes sind zugemauert und das Bahnhofsgebäude ist nicht mehr zu betreten. „Da möchte man ja nicht begraben werden!“ Oder vielleicht doch? Der haarscharfe Beobachter hat nämlich in Werneuchen einen Bestatter ausfindig gemacht, der Juckel heißt. „Ist das nicht ein schöner Name für einen Bestatter?“ Hätte er einen Bestattungsbetrieb, teilt der Künstler mit und würde so heißen, er wäre „schon längst unter der Haube mit dem Namen meiner Frau. Allerdings einem, der zu einem Bestatter passt. Die Frau hätte ich mir nach deren Namen ausgesucht.“ Klaus Nothnagel ist ja auch kein Bestatter, sondern vielseitiger und erfolgreicher Künstler. „Die Auftritte vor Publikum liebe ich, obwohl du auf rutschigem Parkett bist. Bei Büchern und Kompositionen erfährst Du die Reaktion des Publikums erst später, beispielsweise durch Verkaufszahlen oder Briefe und Mails an mich. Du kannst ein Kapitel im Buch immer ändern und erst dann das Werk dem Verlag einreichen. Auf der Bühne muss man hoch konzentriert sein, jede Pointe muss exakt sitzen. Du darfst dir hier als Moderator keinen Fehler erlauben, die Gäste merken es sofort. Daher habe ich vor Auftritten auch immer hohes Lampenfieber. Das muss aber so sein. Ohne Lampenfieber darf der Künstler erst gar nicht auf die Bühne kommen, sonst macht er von vornherein etwas verkehrt.“
Der 1955 geborene Künstler Klaus Nothnagel ist sehr vielseitig tätig. Der studierte Germanist, Philosoph und Theaterwissenschaftler wirkt als Schauspieler, Moderator, Komponist, Journalist, Regisseur und Buchautor. Klaus Nothnagel beobachtet seine Heimat Berlin und Umgebung haargenau. Er sieht etwas, woran andere oft täglich achtlos vorbeigehen. Der Künstler macht etwas daraus und hat die Gabe, dadurch sein Publikum zum Lachen zu bringen. www.sinn-und-ton.com
Ein Beitrag für ReiseTravel von Volker T. Neef.
Unser Autor berichtet aus der Bundeshauptstadt und ist in Berlin wohnhaft.
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