Berlin

Durch Grenzübergang und Film international bekannt ist diese Straße in Berlin

Broadway Neukölln: Der Berliner Bezirk Neukölln gilt gemeinhin nicht als mondän und edel. Vielerorts gibt es ganze Problem Kieze in diesem südlichen Teil der Bundeshauptstadt. Zu diesen Sorgenkindern zählen unter anderem die Einkaufsmeile Karl Marx Straße und die Sonnenallee. Durch den 1999 gedrehten Spielfilm unter der Regie von Leander Haußmann erlangte die Sonnenallee Berühmtheit. Schon während der Mauerzeit von 1961 bis 1989 war diese Allee bekannt als innerstädtische Grenzübergangsstelle. Sie verband Neukölln mit Treptow. Beide Berliner Straßen haben lange Zeit durch Abwanderung von besserverdienenden Mitbürgern und dann nach und nach einkehrende Verwahrlosung und fehlenden Geschäften negativ auf sich aufmerksam gemacht. Fachgeschäfte und gute Cafés suchten das Weite, die Karl Marx Straße und die Sonnenallee galten als überhaupt nicht angesagte Geschäftsadressen. Machte ein Fachgeschäft die Rollläden dort für immer dicht, stand der Laden entweder leer oder ein billiger „Ein Euro Shop“ versuchte sein Glück. Zogen Bürger dorthin, waren es größtenteils Empfänger von sozialen Leistungen wie Sozialhilfe oder Hartz IV.

Der Berliner Senat und die Bezirke hatten schnell bemerkt, so darf es nicht weitergehen. Die problematischen Straßen sollten aufgefangen und umstrukturiert werden. Daher hatte sich die Politik entschlossen, das Förderprogramm „Aktive Zentren“ (AZ) aufzulegen. Eine privatwirtschaftliche Unternehmung wird beauftragt, über mehrere Jahre die bewilligten Fördermaßnahmen umzusetzen. Firmen nehmen an einer Ausschreibung teil und der Sieger für ein bestimmtes Gebiet erhält den Zuschlag. Seit sechs Jahren ist die „Brandenburgische Stadterneuerungsgesellschaft mbH“ (BSG) der Sanierer in diesen beiden Neuköllner Straßen, mit Dipl. Ing. Architekt Andreas Wunderlich als geschäftsführender Gesellschafter der BSG. In seiner Firma sind knapp 30 Mitarbeiter tätig, dazu zählen Stadtentwickler, Bauingenieure, Diplom Pädagogen und Sozialarbeiter. Andreas Wunderlich informierte, wie er und seine Kollegen an einen Problemkiez herangehen. Was zuerst völlig absurd klingt, scheint Sinn und Methode am Ende der Kette zu haben. „Wir untersuchen eine problematische Straße wie einen kranken Patienten. Wir stellen anfangs fest, wie viele Einwohner gibt es dort, wie sehen die Verdienste aus und welche und wie viele Geschäfte, Dienstleister, Schulen und Freiberufler sind dort angesiedelt“. Das ist so, als würde ein Arzt seinen Patienten wiegen, die Größe und Blutwerte bestimmen. Ist eine Krankheit diagnostiziert worden, wird beratschlagt, wie kann die Krankheit beseitigt oder gemildert werden. Muss dem Patienten ein Organ entfernt werden? Das könnte bei einer Straße beispielsweise bedeuten, eine Fabrik, die im großen Stil Dienstkleidung reinigt und deren Dämpfe die dort wohnenden Menschen nicht beglückt, wird im übertragenen Sinne entfernt. Zusammen mit politisch Verantwortlichen und dem Unternehmer wird nach einer Ausweichmöglichkeit am Rande des Bezirkes gesucht. Sollte es möglich sein, einen Kranken mit Medikamenten zu heilen, stellt jeder Mediziner am Anfang der Therapie einen Behandlungsplan auf. Welche Tabletten muss der Patient einnehmen? Die Anzahl der täglich einzunehmenden Tabletten werden ebenso festgelegt wie weitere Kontrolluntersuchungen. Ziel soll es ja sein, die Medikamente im Laufe der Therapie zu senken. Statt täglich zwei Tabletten im Laufe der Zeit dann nur noch eine Tablette einnehmen, lautet die Devise. „Ziel muss es sein, die Medikamente eines Tages ganz wegzulassen“, so der Architekt. Daher wird mit den dort wohnenden Bürgern und im Kiez tätigen Kaufleuten nach Lösungen gesucht, wie eine problematische Straße wieder aufgewertet werden kann. Den Bewohnern und den Geschäftsleuten entstehen keinerlei Kosten. Das AZ wird vom Senat finanziell getragen. Eine Sanierungsmaßnahme kann durchaus bis zu 15 Jahre dauern. Jede Maßnahme erhält Zuschüsse, die sich im Bereich von 2 bis 2,5 Millionen Euro bewegen. Oft haben es die Sanierer geschafft, die „kranke Straße“ zu heilen. Allerdings besteht kein Anlass, auf den Arzt beziehungsweise Architekten zu verzichten. Zu zahlreich sind die Straßen in ganz Berlin, die auf Sanierung durch Experten warten. Mittlerweile gibt es in der Bundeshauptstadt nicht einen einzigen Bezirk mehr, der nicht regelrecht nach Sanierung schreit. Im Jahre 2014 konnte jeder Bezirk eine problematische Gegend einer unabhängigen Jury vorstellen. In der Jury sitzen Politiker, Architekten, Städteplaner, Vertreter aus den Reihen der IHK, Verbände und Organisationen aus den Bereichen Sport, Kultur und Gesellschaft. Es kamen 9 Straßen aus eben so vielen Bezirken in die engere Wahl. 3 wurden am Ende des Auswahlverfahrens auserwählt. Zum Zuge kamen Straßen in den Bezirken Treptow – Köpenick, Steglitz – Zehlendorf und Reinickendorf. Die Ausschreibung für die zu sanierende Straße in Reinickendorf, die Residenzstraße, die im Volksmund nur „Resi“ genannt wird, gewann wieder die BSG.

Hier gehen Andreas Wunderlich und seine Mitarbeiter genau so vor wie bei ihrem Projekt in Neukölln. Es erfolgt eine Bestandsaufnahme für diese Reinickendorfer Geschäftsstraße, um auch hier ein Abrutschen in die Bereiche der „Ein Euro Läden“ zu verhindern. Der Reinickendorfer Baustadtrat Martin Lambert geht sogar so weit, nicht nur Bürger und Geschäftsleute aus der Residenzstraße zu Gesprächen mit Andreas Wunderlich einzuladen. „Auch die Hauseigentümer möchte ich gerne einladen. Sie können erheblich dazu beitragen, die Residenzstraße aufzuwerten.“

Ein Beispiel sind Schmierereien an Gebäuden. Diese Schmierereien an Häusern und Geschäften, auch als Graffiti bekannt, sind ein großes Ärgernis. Es hat sich gezeigt, wischt niemand diesen widerlichen Dreck weg, sind viele Gebäude mit diesen ekelhaften Farben verunstaltet. Geht man zu Werke und beseitigt die Schmierereien an einem Haus, ziehen andere Eigentümer nach und beseitigen ebenfalls ihre Graffiti. Architekt Wunderlich kann berichten, dass „ein guter Einzelhändler Kunden aus ganz Berlin und aus dem Umland anzieht.“ Es darf sich dabei natürlich nicht um ein Geschäft handeln, dass es in jedem der mittlerweile über 80 Berliner Einkaufszentren gibt. Ein Bekleidungshaus in der „Resi“ lockt sicherlich keine potenziellen Kunden aus Mahlsdorf oder Lichtenrade an. Handelt es sich um ein Bekleidungshaus, dass sich auf Tanzsportler spezialisiert hat, sieht die Angelegenheit schon ganz anders aus. Ebenso verhält es sich, wenn ein Kaufmann Zauberartikel oder spezielles Angelzubehör beispielsweise anbietet. Da kommt die Kundschaft nicht nur aus ganz Berlin zu diesem speziellen Händler angereist. Die Kunden kaufen bei diesem einen Besuch im Umfeld auch ihre Lebensmittel, ihr Fotozubehör und gönnen sich dabei auch einen Kaffee und ein Stück Torte. Das Einzugsgebiet der von Andreas Wunderlich zu sanierenden Residenzstraße geht vom Franz Neumann Platz bis zum Kolping Platz.

In den sechs Jahren in Neukölln kann die BSG auf große Erfolge hinweisen. Neben einem Flyer namens „Aktion: Karl Marx Straße Jung, bunt erfolgreich“ gibt es eine Printmagazin. Es trägt den Titel „Broadway Neukölln.“ Inhalte sind beispielsweise Trends und Visionen und Netzwerke in der Karl Marx Straße und Sonnenallee. Mittlerweile ist Neukölln „in und Trendy“, Neuberliner und Altberliner haben diesen Bezirk endlich wiederentdeckt und füllen ihn mit erfrischendem und pulsierendem Leben. www.bsgmbh.com

ReiseTravel Fact: In ganz Berlin sind mittlerweile Problem Kieze und Problem Straßen bekannt. Selbst der als reich geltende Bezirk Steglitz Zehlendorf, in dem sich auch der teuerste Berliner Ortsteil, nämlich Dahlem, befindet, haben an der Ausschreibung zur Sanierung der problematischen Viertel teilgenommen. Man kann den Sanierern nur wünschen, dass ihr Vorhaben von Erfolg gekrönt sein wird. Eine sanierte „Resi“, Karl Marx Straße und Sonnenallee sowie viele andere sind eine attraktive Visitenkarte für Berlin und seine Gäste.

Ein Beitrag für ReiseTravel von Volker T. Neef.  

Volker T. Neef ReiseTravel.euUnser Autor berichtet aus der Bundeshauptstadt und ist in Berlin wohnhaft.

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