Andrzej Stasiuk

Der Osten nicht nur die Himmelsrichtung sondern auch eine Chiffre für Vergangenheit

Von Polen über Russland bis nach China: In seinem Buch unternimmt der polnische Autor Andrzej Stasiuk eine Expedition gen Osten. Hochsensibel und teils erfreulich radikal ist sein Text über weltvergessene Dörfer und moderne Städte, in denen es nur noch Zukunft gibt – und Leere.

Der Osten Roman vom Andrzey Stasiuk. Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall, Suhrkamp Verlag

Was ist "Der Osten": Für den Polen Andrzej Stasiuk ist Osten nicht nur die Himmelsrichtung seiner ständigen Reisen, sondern auch eine Chiffre für Vergangenheit. Der Warschauer Vorort, wo er aufwuchs und seine Mutter besucht, ist der Ausgangspunkt seiner Expeditionen in das Dorf seiner Großeltern am Bug im Osten Polens. Und noch weiter - nach Moskau, Irkutsk, Bratsk, Nowosibirsk, Tschita, Ulan Bator: Russland, Sibirien, Mittelasien, Mongolei. Zurück von der Reise, lauscht Andrzej Stasiuk des Nachts hinaus in die Weite: Was ist das, der Osten, dieses "Reich der Wunder", das ihn magisch anzieht? Dieses Kontinuum, dessen Erschütterungen von Kamtschatka bis an die Elbe zu spüren sind. Ostpolen, die Heimat, aus der seine Eltern vertrieben wurden? Eine Summe seines Reisens und Schreibens – niedergelegt in einem epischen Strom, hinreißend erzählten Episoden. Nie hat er bitterer über den "deutschen Osten" im eigenen Land geschrieben: Jenes Territorium, auf dem die Nazis Gaskammern errichteten. Aus der Vogelschau blickt er auf sein Leben, das Gewirr aus Wegen und Routen, in dem ein Kindertraum von China sich mit dem Glücksgefühl in der Wüste Gobi kreuzt. Osten ist keine Himmelsrichtung, sondern die Verheißung einer Dimension jenseits der vom Grauen der Vergangenheit unterminierten europäischen Landschaften. Andrzej Stasiuk, der in Polen als wichtigster jüngerer Gegenwartsautor gilt, wurde 1960 in Warschau geboren, debütierte 1992 mit dem Erzählband Mury Hebronu (Die Mauer von Hebron), in dem er über seine Gewalterfahrung im Gefängnis schreibt. Stasiuk wurde 1980 zur Armee eingezogen, desertierte nach neun Monaten und verbüßte seine Strafe in Militärgefängnissen. 1986 zog er nach Czarne, ein Bergdorf in den Beskiden. Den literarischen Jahrespreis Nike erhielt Andrzej Stasiuk 2005 für sein Buch Unterwegs nach Babadag. Sein vielfach ausgezeichnetes Werk erscheint in 30 Ländern.

ReiseTravel Fact: Polen ist ein stark nationalistisches Land und nicht nur die Regierungschefin Beata Szydlo warnt die Polen vor den "europäischen Gefahren" durch die EU. Die europäische Einigung war eine Illusion, wie der radikale Kurswechsel in Polen zeigt. "Wieder hat jemand anders unser Schicksal in die Hände genommen und diktiert uns, wie wir uns verhalten sollen", sagt Andrzey Stasiuk. "Gegen die Wohlstandsversprechen der Verwestlichung setzen wir unsere alten Opfermythen". Das Buch "Der Osten" ist nicht nur ein Reiseführer, es ist ein Buch über die Geschichte, mit all seinen Grenzverschiebungen und den daraus entstandenen Problemen. Unbedingt lesenswert.

Der Osten Roman vom Andrzey Stasiuk. Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall, Suhrkamp Verlag. ISBN 978-3-518-42535-0, www.suhrkamp.de

Das Buch kostet im Buchhandel 22.95 Euro.

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