Berlin | Flakturm Humboldthain |
„Kriegsbunker als Stadtdekoration – NS-Planungen für die Friedenszeit“ und „Mythos Germania – Vision und Verbrechen“
U-Bahnhof Berlin Gesundbrunnen: Während des Zweiten Weltkriegs entstanden drei große Gefechtsbunker zur Verteidigung des Berliner Luftraums, für die steinerne Schmuckfassaden produziert wurden. Kürzlich erwarb der Berliner Unterwelten e. V. 21 dieser Schmucksteine und präsentiert deren Geschichte in der Sonderausstellung „Kriegsbunker als Stadtdekoration – NS-Planungen für die Friedenszeit“ am Gesundbrunnen. Ein großer Nachbau des Flakturms Humboldthain von Modellbauer Manfred Jonas kann in der Sonderausstellung besichtigt werden. Das 2,16 m lange und 1,14 m hohe Exponat aus Holz entstand anhand originaler Fotoaufnahmen sowie mithilfe von Abmessungen am Originalturm. Um es transportabel zu machen, wurde es in zwölf einzelnen Segmenten konstruiert. Die Bauzeit für das Modell im Maßstab 1:35 betrug von der ersten Zeichnung bis zur Fertigstellung sechs Monate – also genau die gleiche Zeit, die damals der Bau des echten Flakturms Humboldthain benötigte.
„Mythos Germania – Vision und Verbrechen“
Albert Speers Planungen für die Reichshauptstadt waren keine Utopie, sondern ein konkretes Bauvorhaben. Hitlers architektonische Vorstellungen von einer künftigen Reichshauptstadt, deren Monumentalbauten dem NS-Staat zur Selbstdarstellung dienen sollten. Die von dem Berliner Unterwelten e. V. initiierte und dem Historiker Gernot Schaulinski konzipierte Ausstellung beleuchtet nicht nur die Architektur und Stadtplanung während des NS-Regimes. Sie dokumentiert auch die grundlegenden ideologischen Zielsetzungen des Nationalsozialismus und die von Albert Speer in Berlin forcierte Judenverfolgung. Gleichzeitig werden Legenden und Klischees rund um die „Welthauptstadt Germania“ dekonstruiert.
Themen, Raum und Inszenierung: Die Architektur hatte im Nationalsozialismus einen herausragenden politischen Stellenwert; sie diente der Machtdemonstration und der Massenmanipulation. Berlin besaß für sämtliche Gauhauptstädte Modellcharakter und sollte zur international führenden Metropole aufgebaut werden. Zur Realisierung dieses Vorhabens wurde 1937 eine neue Behörde geschaffen: „Der Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt Berlin“, kurz GBI. Ihr Chef: der damals 32-jährige Architekt Albert Speer. Er erhielt die Möglichkeit, nahezu unbegrenzt über Menschen und Ressourcen zu verfügen. Was er auch tat. Als „Generalbauinspektor“ war er verantwortlich für die Vertreibung der Berliner Juden aus ihren Wohnungen, mit der SS schloss er Verträge für die Produktion von Baumaterial in Konzentrationslagern. Als späterer Rüstungsminister veranlasste Speer die Verschleppung hunderttausender Menschen zur Zwangsarbeit im Deutschen Reich. In ihren insgesamt sieben Themenbereichen zeigt die Ausstellung „Mythos Germania – Vision und Verbrechen“ ausgewählte Bauvorhaben und beleuchtet dabei bautechnische, soziale und ideologische Hintergründe – stets im Kontext mit den für die „Neugestaltung“ begangenen Verbrechen: Vertreibung, Deportation und Zwangsarbeit.
Den passenden Ort für die Ausstellung liefern die Räume einer Zwischenetage im U-Bahnhof Gesundbrunnen. Hier geben Medienstationen, Text- und Bildfahnen, Exponate und ein Architekturmodell einen umfassenden Einblick in die Pläne und Vorhaben des GBI. Zur individuellen Vertiefung dienen zusätzliche Film-, Hör- und PC-Stationen sowie „Ausziehladen“, die weitere Detailinformationen liefern. Ausgangspunkt der Ausstellung ist der 40 qm große Eingangsraum. Unter der Bezeichnung „Generalbauinspektor – Die Neugestaltung der Reichshauptstadt“ werden hier zunächst Struktur, Aufgabenbereiche und Machtfülle der von Albert Speer geleiteten Dienststelle dargestellt. Die angrenzende sieben Meter hohe Halle mit einer Fläche von 290 qm bildet den Hauptausstellungsbereich und präsentiert die übrigen sechs Themenbereiche „Beräumung – Leerflächen per Dekret“, „Ost-West-Achse – Umbau des Bestehenden“, „Verbrechen – Deportation und Sklavenarbeit“, „Nord-Süd-Achse – Riss durch Berlin“, „Mythen – Propaganda und Klischees“, „Spuren – Zeugnisse der Reichshauptstadt“. Wie die GBI-Elite den Bruch und den schadlosen Übergang nach dem Zweiten Weltkrieg „übersteht“, wird in Form von stilisierten Karteikarten „Zur Person“ gezeigt. Das Schicksal der Opfer wird durch persönliche Briefe und Fotos sowie eine Vielzahl von amtlichen Schreiben dokumentiert.
Zu den Originalexponaten zählen der Teil eines „Speer-Kandelabers“, Artefakte vom Gelände des KZ Außenlagers „Klinkerwerk“ bei Oranienburg, das Überlagerungsmodell „Germania-Berlin“ des Künstlers Edgar Guzmanruiz und ein Säulenfragment der „Neuen Reichskanzlei“. Darüber hinaus wird das für den Film „Der Untergang“ (2004) geschaffene Großmodell von „Germania“ ausgestellt. Dieses steht im eindrucksvollen Spannungsverhältnis mit einer unmittelbar angrenzenden Leuchtwand, die die verbrecherischen Konsequenzen des Großbauprojektes darstellt.
Über 20 Autoren – viele von ihnen für Berliner Universitäten, Gedenk-, Dokumentations- und Informationsorte tätig – haben sich an dem interdisziplinären Projekt beteiligt. Kurator Gernot Schaulinski ist als Historiker für Fernsehproduktionen, Ausstellungs- und Publikationsprojekte zu Themen der Zeitgeschichte und Stadtforschung tätig. Er war u. a. im Auftrag des Museumspädagogischen Dienstes, des Deutschen Historischen Museums und des Deutsch-Russischen Museums Karlshorst an einem Multimediaprojekt der Ausstellung „Berlin 1945 – Kriegsende und Neubeginn“ (2005) beteiligt sowie an den Ausstellungen „Berlins vergessene Mitte“ (2010) und „Berlinmacher – ein Netzwerk“ (2012) der Stiftung Stadtmuseum Berlin. Gernot Schaulinski ist Mitglied des Berliner Unterwelten e. V. und engagiert sich für die Erforschung und Vermittlung der Thematik „Unterirdische Fluchten zur Zeit der Berliner Mauer“.
Ausstellungsort: U-Bahnhof Gesundbrunnen, Zugang über die Eingangshalle des U-Bahnhofs Gesundbrunnen (U8) vor dem Gesundbrunnen-Center, Badstraße/Ecke Behmstraße, D-13357 Berlin. Eintrittskarten sind ausschließlich im zentralen Ticketverkauf des Vereins in einem Pavillon am U-Bahn-Eingang gegenüber dem Volkspark Humboldthain erhältlich (Brunnenstraße 105, D-13355 Berlin).
Berliner Unterwelten e. V., Sascha Keil. www.berliner-unterwelten.de
Von Antonia Stahl, amagi Public Relations GmbH
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