Essen | Quo vadis, Warenhäuser? |
Von einst vier Warenhauskonzernen in Deutschland sind nur noch zwei übrig geblieben
Leerstand - Stillstand: Schon zu Kaisers Zeiten gab es in Deutschland „alles unter einem Dach“ zu kaufen. Ob Knöpfe, Textilien, Möbel, Teppiche, Musikinstrumente, Kochtöpfe, Hundeleinen, Porzellan, Spielwaren und Lebensmittel, jede größere Stadt hatte ein Warenhaus oder sogar mehrere aufzuweisen. Oft konnten sich die Kunden dort auch stärken. Die Restaurants in den Warenhäusern nannten sich gerne Erfrischungsräume. Ein Warenhaus bietet viele verschiedene Artikel an und ist nicht zu verwechseln mit einem Kaufhaus. Das Kaufhaus beispielsweise verkauft nur Produkte eines Sortimentes. Werden Kinderhosen, Damenstiefel und Arbeitsanzüge verkauft und dazu Krawatten und Smokings und das Angebot besteht aus Kleidung und Schuhen, reden Einzelhändler von einem Kaufhaus.
Die vier großen Warenhäuser in Deutschland waren einst Karstadt, Kaufhof, Hertie sowie Horten und die einstigen Versandhäuser Quelle und Neckermann hatten auch Warenhäuser in ihrem Bestand. Der Versandhändler Otto aus Hamburg wollte Mitte 1970 in Mühlheim an der Ruhr und in Recklinghausen Warenhäuser eröffnen. Die Häuser waren schon im Bau, als die Manager des Otto-Versandes zu der Erkenntnis kamen, die Wachstumsraten der Warenhäuser gehen ganz rapide zurück. Man verkaufte die Gebäude an die Warenhauskette Horton AG mit Sitz in Düsseldorf.
Ironie der Geschichte: Der Otto-Versand ist weiterhin tätig und betreibt über eine Tochtergesellschaft zahlreiche Einkaufszentren in Deutschland. Horten und Hertie sind längst vom Markt verschwunden. Die Metro AG hat sich vom Warenhauskonzern Kaufhof getrennt. Seit September 2015 kommt der neue Eigentümer aus Kanada und heißt Hudson s Bay Company.
Machen wir uns nichts vor: Olaf Koch, der Vorstandsvorsitzende der Metro AG und Ex-Eigentümer, hätte sich wohl niemals von einem „Goldesel“ getrennt. Am Ende, so schien es, war man froh, überhaupt einen Interessenten gefunden zu haben. Der in Essen beheimatete Warenhauskonzern Karstadt AG hängt am sogenannten „seidenen Faden.“ Dabei fing alles so glanzvoll an!
Der Dülmener Unternehmer Theodor Althoff gründete bereits 1893 ein Geschäft im westfälischen Recklinghausen. Der überschaubare Laden verkaufte anfangs nur Woll-, Kurz- und Weißwaren. Bereits drei Jahre später folgte eine zweite Geschäftseröffnung in Recklinghausen. Theodor Althoff besaß zudem Warenhäuser in Dortmund und Essen. Er gründete 1911 in Recklinghausen ein großes Warenhaus.
Damals kam es einer Sensation gleich: Das Warenhaus verfügte sogar über einen Kundenfahrstuhl. Ein Fahrstuhldiener in Pagen-Uniform fuhr die Kundschaft per Aufzug in den gewünschten Stock. Wie ein Straßenbahnschaffner rief er jedes Stockwerk aus. So konnte man hören: „Erster Stock! Damenmode und Spielwaren.“ Beim zweiten Stock ertönte seine Stimme mit: “Herrenausstatter, Lederwaren, Schuhe.“ Im Jahre 1920 erfolgte eine der erfolgreichsten Firmengründungen im Einzelhandel. Die Unternehmerpersönlichkeiten Theodor Althoff und Rudolph Karstadt gründeten die Rudolf Karstadt AG. In einigen Orten blieb aus Traditionsgründen der Name Althoff noch lange Zeit erhalten. Ab 1963 war dann nur noch der Name Karstadt an den Außenfassaden der Warenhäuser in ganz Deutschland zu lesen. 2009 meldete Karstadt Insolvenz an. Die Bundesagentur für Arbeit sprang hilfreich ein und zahlte drei Monate lang die Gehälter aller Karstadt-Beschäftigten.
Ein 1961 in Frankreich geborener deutsch-US-amerikanischer Investor kaufte das kriselnde Unternehmen 2010. Seinen Vater kannte man als Sammler der Kunst für klassische Moderne und Museumsgründer in Charlottenburg. Die Karstadt-Mitarbeiter wurden aufgefordert, sich mit weniger Gehalt zu begnügen. Leistungen wie Urlaubsgeld oder Weihnachtsgratifikationen wurden sehr stark gekürzt oder gänzlich gestrichen. Alle Mitarbeiter verzichteten drei Jahre lang bis einschließlich 2012 auf ein Einkommen in Höhe von rund 150 Millionen Euro. Im selben Jahr wurden 2.000 Stellen abgebaut. Im September 2013 verkaufte der Besitzer 75, 1 Prozent seiner Karstadt-Anteile an den Investor Rene Benko. Der 1977 geborene Innsbrucker ist Immobilien-Unternehmer und Inhaber der SIGNA Holding GmbH. Das Unternehmen hatte er 1999 gegründet. Im Sommer 2014 übernahm das Unternehmen aus Österreich die komplette Karstadt Warenhaus GmbH. Im Mai 2015 teilte der Vorstand mit, man werde fünf Warenhäuser schließen müssen bis einschließlich 2016. Betroffen waren die Häuser in Recklinghausen, Bottrop, Mönchengladbach-Rheydt, Neumünster und Dessau.
Im Mai 2016 war dem Bundesanzeiger zu entnehmen, das Karstadt sich, erstmals seit vielen Jahren der „schwarzen Null“ nähert. Das ausgeglichene Jahresergebnis ist der erste kleine Lichtblick nach Jahren von schweren Verlusten. Im Geschäftsjahr 2014/15 verzeichnete das Management noch einen Fehlbetrag von fast 65 Millionen Euro. Der Umsatz fiel um 6,6 Prozent und erreichte 2,09 Milliarden Euro. Heute beschäftigt Karstadt fast 14.000 Mitarbeiter. Das sind 2.378 Beschäftigte weniger als im Geschäftsjahr 2014/15. Rene Benko hatte schon 2014 mitgeteilt, man werde die Sanierungsmaßnahmen bei Karstadt nochmals verschärfen.
Es bleibt festzuhalten, die Wegstrecke für Karstadt und wohl auch den Kaufhof in Deutschland ist hart und steinig. Die Zeiten, wo „Rosen ohne Dornen“ auf der Strecke lagen, sind vorbei und werden wohl auch nie mehr wiederkommen.
ReiseTravel Fact: In den Warenhäusern sieht man kaum junges Publikum. Es sind eher die älteren Herrschaften, die dort Stammkunden sind. Ähnliches ist von Wochenmärkten bekannt. Heute kaufen junge Menschen bequem im Internet. Dabei braucht man auf Öffnungszeiten des Warenhauses keine Rücksicht zu nehmen. Am PC kann man auch sorglos im Pyjama sitzen und einkaufen. Fahrten im überfüllten Bus zum Warenhaus entfallen oder wer mit dem Auto anreisen würde braucht sich nicht auf lästige und zudem teure Parkplatzsuche begeben. Wenn der Postmann klingelt und die im Internet bestellte Ware bringt, sendet man kostenfrei die einem nicht zusagenden Teile an den Verkäufer zurück. Das ist ein ungleicher Kampf, den da die alteingesessenen Warenhäuser mit dem modernen Internethandel austragen müssen. Von einst vier Warenhauskonzernen in Deutschland sind nur noch zwei übrig geblieben. Man kann es auch so ausdrücken: Die Hälfte ist vom Markt verschwunden. Niemand kann vorhersagen, ob das schon das „Ende der Fahnenstange“ war. Eines ist auch klar: Die ehemaligen Warenhäuser sind nicht unbedingt heiß begehrt, obwohl sie sich alle in bester Innenstadtlage befinden. Vielfach rotten die leer stehenden Gebäude vor sich hin. Das bereits 2009 in Herne in der Fußgängerzone „Bahnhofstraße“ geschlossene Haus weist 12.000 Quadratmeter Nutzfläche aus. Erst ab Anfang 2016 gibt es zaghafte Versuche, dort unter anderem ein großes Café zu errichten und Supermärkte sowie Einzelhändler, Arztpraxen und ein Fitnessstudio. Allerdings ist nach sieben Jahren des Leerstandes noch nichts endgültig geplant worden. Der Investor müsste nach Schätzungen von Immobilienkaufleuten 20 Millionen Euro für die Sanierung aufbringen. Herne ist nur eines von vielen Beispielen für sogenannte Geisterhäuser in besten Innenstadtlagen. Der Onlinehandel hat seine Depots kostengünstig „auf der grünen Wiese“, jedoch in der Nähe von Autobahnauffahrten, angesiedelt.
Ein Beitrag für ReiseTravel von Volker T. Neef.
Unser Autor berichtet aus der Bundeshauptstadt und ist in Berlin wohnhaft.
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