Weimar | Bauhaus |
Das Bauhaus gilt es noch immer, 100 Jahre nach seiner Gründung 1916, als bedeutendste Schule für Design, Kunst und Architektur des 20. Jahrhunderts.
Die Welt neu denken: An ihre frühe Phase und deren Geschichte verknüpft mit Fragen zur heutigen Lebensgestaltung erinnert das gerade eröffnete Bauhaus Museum in Weimar.
Klares, helles Licht und das aufbrechendes Bunt bringen die Stadt zum Erblühen. Frühling in Weimar. Zart, mal kräftiger ins Auge springend. Kaum ein Ort, in dem das Thema „Farbe“ eine so historisch tief greifende Rolle spielt. Schon Goethe war fasziniert von Farben und forschte an deren Wirkkräfte. Johannes Itten und Wassily Kandinsky ordneten Farben eine geometrische Form und expressive Wirkung zu. Das Markenzeichen für das Bauhaus entstand: Johannes Itten charakterisierte die Farbe Rot als statisch und schwer, als ein Quadrat. Gelb empfand er als kämpferisch und aggressiv, Ausdruck für den Geist, das Denken. Dafür stand das Dreieck. Blau dagegen erwecke ein Gefühl der stetigen Bewegung, deshalb ordnete er dieser Farbe dem Kreis zu. Wassily Kandinsky erweiterte die drei geometrischen Farbformen mit drei dimensionale Körpern. Aus dem Quadrat ein roter Kubus, aus dem Dreieck eine gelbe Pyramide und dem Kreis die blaue Kugel.
Das Phänomen Bauhaus
Auch für Walter Gropius, dem Gründer des Bauhauses, spielte schon bei den ersten Planungskonzeptionen eines Gebäudes die Farbigkeit eine wichtige Rolle. Nicht so beim neu eröffneten Bauhaus Museum Weimar. Ein mächtiger Kubus auf einem Betonsockel, der sich über Fünf Raumebenen erstreckt. Außen grau, innen grau. Die herbe Architektur kann auf den ersten Blick befremdlich wirken. Allerdings lohnt es, sich die Innenräume zu erobern und dem Phänomen Bauhaus nachzuspüren. Das offene Raumkonzept im Innern wirkt erhaben, hell und großzügig.
Das Museum bildet den Knotenpunkt eines ganzen Museumsquartiers, das an der Schnittstelle zwischen dem klassischen Weimar und dem nationalsozialistischen Gauforum steht. Die Katastrophe des ersten Weltkrieges, die die Abdankung der Aristokratie, und Deutschlands erste Demokratie verlangten auch in Kunst und Architektur eine neue Formensprache, die den Umbrüchen jener Zeit gerecht werden sollte. Das war der Ursprung des Bauhauses. Im Laufe der Jahre zog es mehrmals unter politischem Druck um. Zunächst von Weimar nach Dessau. Dort bestand die Schule am längsten und erlebt ihre Blütezeit. In Berlin wirkten die Bauhäusler nur ein knappes Jahr, bevor die Schule 1933 von den Nazis geschlossen wurde. Einige Werke galten später als „entartete Kunst“. Viele Künstler gehen ins Ausland.
„Das Bauhaus kommt aus Weimar“
„Das Bauhaus kommt aus Weimar“ so steht es auf den Plakaten der ersten Museumsausstellung. Die Präsentation schöpft aus einem einzigartigen Fundus der weltweit ältesten musealen Sammlung der Werkstattarbeiten des Bauhauses, die Walter Gropius schon in den 1920 er Jahren anlegte und die inzwischen auf 13.000 Objekte angewachsen ist. Bislang nie gezeigte Sammlungsschätze, Design-Klassiker und unveröffentlichten Zeitdokumente sind zu sehen. Keine chronologisch sortierte Vitrinenschau, sondern innovativ und interaktiv werden mittels multimedialer Präsentationsformen Ideen, Geschichte wie Geschichten des Bauhauses erzählt. In Kapiteln wie „Der neue Mensch“, „Experiment“ oder „Neuer Alltag“ spürt man den Forscherdrang der Bauhäusler und erlebt das Bauhaus als lebendige Ideenschule mit originalen Objekten und atmosphärischen Installationen. Nicht nur klare Linien, Grundfarben, und schnörkellose Funktionalität, auch Rhythmus, Atem und Gymnastik waren ein Muss im Bauhaus. Davon zeugen Videoleinwände, auf denen Oskar Schlemmers Figuren aus dem triadischen Ballett in starren Kostümen über die Bühne tanzen. Die legendäre Bühnenwerkstatt war das Kreativzentrum am Bauhaus und beschäftigte sich mit der Frage, wie sich der Mensch im Raum bewegt. Gleichzeitig war die Bühne ein Ort für viele Auftritte bei den berüchtigten Bauhausfesten.
Treffpunkt der Avantgarde
Das Bauhaus wurde Treffpunkt der Avantgarde. Künstler und Gestalter wie Paul Klee, Wassily Kandinsky, Lyonel Feininger, Oskar Schlemmer, Peter Keler, Wilhelm Wagenfeld, Marcel Breuer, László Moholy-Nagy oder Marianne Brandt prägten das Bauhaus in Architektur, Malerei, Tanz, Design von Möbeln, Geschirr und Textilien. Ausgestellt sind Studien, Versuche und Prototypen, von denen heute einige als Ikonen der Moderne gelten. Jeder kennt die typischen Würfelhäuser mit Flachdach, Marcel Breuers Stahlrohrmöbel, die Wagenfeld Tischleuchte oder Marianne Brandts halbkugelige Teekanne. Die damalige Bewegung hat Kultobjekte hervorgebracht, die für viele heute zum Lifestyle gehören.
Die neue Kunsthochschule sollte Handwerk, Architektur, Kunst und Leben verbinden als eine Art Versuchslabor für eine neue, menschlichere Gesellschaft. Die Produkte sollten in die industrielle Serienfertigung gehen, um den Alltag zu revolutionieren. Dabei stehe das Bauhaus nicht für einen bestimmten Stil oder eine Methode, betont Prof. Wolfgang Holler, Generaldirektor der Museen Klassik Stiftung Weimar. „Ein Irrglaube, den wir entmystifizieren wollen. Wir sprechen nicht vom Bauhausstil, sondern von einer Philosophie, einer Lebenshaltung, einer Initialzündung, die die Welt veränderte“, meint Wolfgang Holler.
Wie wollen wir zusammenleben?
Das Thema „Zusammenleben“ bildet den roten Faden durch die Ausstellung und vermittelt, wie man sich in den frühen Bauhaus Jahren ein gemeinschaftliches Leben und Arbeiten vorstellte. „Dies betrachten wir nicht nur retrospektiv, sondern nach vorn gerichtet. Was ist aus den großen Ideen des Bauhauses geworden? Was sind die Fragen und Lebensentwürfe unserer Zeit. Wie wollen wir leben in einer Welt, in der sich alles nur noch um Leistung dreht, in der der Mensch immer vermessener, systematisierter, immer gläserner wird“, fragt Wolfgang Holler. „Wollen wir technisch ausgerichtete, digitale Maschinenmenschen sein oder Menschen, die im Einklang mit der Natur stehen?“
Für die Ausstellung wurden Menschen in Schrebergärten, Wohner in einer Plattenbausiedlung oder Inhaftierte einer Justizvollzugsanstalt befragt, wie sie zusammenleben. Miteinander oder gegeneinander, verbindend oder trennend, respektvoll oder rücksichtslos. Oder werde das Leben gar von der Gemeinschaft beherrscht? Wie gestaltet sich Gemeinschaft. Was bedeutet Gemeinschaft für das Einzelwesen? Damals wie heute ist das Bauhaus auf der Suche nach dem Neuen Menschen, dem Neuen Bauen, dem Neuen Wohnen. "Die Welt neu denken“ wie schon Gropius Nachfolger, Hans Meyer, forderte.
Das Erbe
Angehende Bauingenieure, Architekten und freie Künstler auf dem Campus Vorplatz. Die Bauhaus Universität gilt wie einst als Ort freier Denker und innovativer Impulse. Im Treppenaufgang des etwas verwinkelten Van-de-Velde-Gebäudes finden sich verschiedene Wandmalereien und ein tänzelndes Figurenrelief, gestaltet von Oskar Schlemmer anlässlich der Bauhaus-Austellung 1923. Der Mensch in verschiedenen Bewegungsmustern, sportlichen Körperpositionen. Heute sind es Rekonstruktionen, die Originale wurden 1930 aufgrund ihres sogenannten "kulturbolschewistischen" und fremdartigen Charakters durch die NSDAP entfernt.
Das Spannende am Bauhaus sei, so der Studienberater Christian Eckert, dass diese Ästhetik zeitlos ist, alles überstehend und immer im Prozess, dass die verschiedenen Künste und Gewerke Hand in Hand zusammenwirken. Christian Eckert hat selbst am Bauhaus studiert und kennt sich hier bestens aus. „Ich selbst habe vor allem den Mut mitgenommen, zu suchen, zu entdecken, Dinge auszuprobieren und keine Angst davor zu haben, Fehler zu machen.“ Der Spirit des Bauhauses lebe an vielen kreativen Orten Weimars weiter, meint Christian Eckert. Auch heute noch habe das Bauhaus sehr viel Kraft für das Offene, die Hingabe, die Konsequenz.
Die Bauhaus Idee einer Synthese von Kunst und Handwerk wirkt bis heute. In der Schlosserei der Bauhaus Universität feilt Stefan Licheri an seinem Prototyp einer elektroakustischen Gitarre. Sie ist von minimalistischem Design, bestehend aus einer lang gestreckten Wirbelsäule und sieben Saiten. Sie funktioniert nur in Verbindung mit Computer und Synthesizer und ist vorgesehen für experimentelle Musik, aber beispielsweise auch für Bearbeitungen von Bach Kompositionen. Der ausgebildete Komponist Stefan Licheri stammt aus Venezuela und studiert jetzt an der Fakultät Kunst und Gestaltung im Bereich Medienkunst. „Ich bin begeistert von der guten Ausstattung der Schlosserei und bin hier öfter als in den Vorlesungen“, beichtet der 35-Jährige Augenzwinkernd.
Bleibende Impulse in Kunst und Handwerk
In der Rittergasse der Weimarer Altstadt lädt ein Atelier, das gleichzeitig Ladengalerie ist, zum Verweilen ein. Hier entwirft und fertigt die Schmuckdesignerin Nane Adam einzigartige Schmuckstücke. Die gebürtige Weimarerin beschäftigte sich seit vielen Jahren mit den Bauhaus Künstlern. „Besonders Lyonel Feininger und seine Bilder von Kirchen im Weimarer Umland haben mich inspiriert.“ Nane Adam griff die Idee der prismatischen Bildstrukturen auf und schuf selbst dekorative Prismen. Ihre Ringkollektion „Flexible rings“ entwarf sie nach der Bauhaus Gestaltungslehre "Die Form folgt der Funktion“. „Dieses Prinzip der Einheit von Ästhetik und Funktionalität inspirierte mich. Die Ringe passen sich durch die eingearbeiteten Nylonschnüre an viele Fingergrößen an.“ Auch bei der Präsentation der Ringe nimmt Nane Adam Bezug zum Bauhaus und ordnet sie nach der Farb-Form-Lehre an: blau, rot und gelb zu den Formen Kreis, Quadrat und Dreieck.
Die Hutmacherin Claudia Kocher schwärmt für Wassily Kandinsky. „Laut Gerüchten meines Vormieters bestehe sogar der Verdacht, dass ich in seinem ehemaligen Arbeitsatelier wohne. Das könnte passen, denn meine Wohnung liegt direkt neben der Bauhausuniversität“ berichtet die Weimarerin stolz. „Der Geist des Bauhauses hat mich extrem beflügelt, mehr als Goethe in der Schule. Es war eine wichtige Epoche in der Art, wie Handwerk und Design ineinandergreift. Ich kann nicht gestalten, ohne das Handwerk zu beherrschen. Der Beruf des Hutmachers ist zwar ein aussterbendes Gewerbe, aber ich wollte mich nicht begrenzen durch Trends und Preisvorgaben.“ So machte sich die unkonventionelle, junge Frau selbstständig. „Meine Hüte sollen nicht nur hübsch aussehen, sondern auch eine Funktion haben, die ich ihnen zuspreche.“ Ihre Stoffe und Materialien sucht Claudia Kocher sorgsam aus. Sie sollen hochwertig, nachhaltig und langlebig sein. Jede Form ihres außergewöhnlich gestalteten Kopfschmuckes, jeden Hut, jede Kappe näht sie mit der Nadel von Hand. Ihre Head Couture ist nichts für nur eine Saison.
Durch Weimar Spazieren ist Begegnung mit deutscher Kulturgeschichte. Einzigartig ist das Nebeneinander der Weimarer Klassik und der Bauwerke der Weimararer Moderne. Das Bauhaus Museum regt an, weitere Stätten und Erinnerungsorte aufzusuchen, vom Neuen Museum, das eine Ausstellung zur Vorgeschichte der Moderne zeigt, über das ehemalige „Gauforum“ der Nationalsozialisten bis hin zu DDR Bauwerken wie dem Studentenwohnheim „Langer Jakob“, dem „Haus Hohe Pappeln” von Henry van de Velde oder dem Musster-Bauhaus „Haus am Horn”.
Bauhaus-Museum Weimar, Stéphane-Hessel-Platz 1, D-99423 Weimar,
Tel.: 03643/545400, www.klassik-stiftung.de
Ein Beitrag mit Foto für ReiseTravel von Christel Sperlich
Fernsehjournalistin Christel Sperlich entdeckt gern die ungewöhnlichen Geschichten hinter dem Abenteuer Reisen.
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