Inga Romanovskienè | Die Stadt Vilnius bereitet sich auf die 700-Jahr-Feier ihrer Gründung vor |
Interview mit Inga Romanovskienè, Direktor von “Go Vilnius”, der offiziellen Stadt-Entwicklungs-Agentur für Vilnius
Vielen Dank für die Möglichkeit, Vilnius zu besuchen und mit Ihre Agentur “Go Vilnius” die Stadt mit ihrer reichen Geschichte und ihren Sehenswürdigkeiten kennenzulernen.
Wofür steht “Go Vilnius”?
“Go Vilnius” ist die offizielle Entwicklungsagentur der Stadt Vilnius. Es gibt uns seit sechs Jahren und wir wurden gegründet, um dem Besucher zu helfen, das Beste aus seiner Zeit in Vilnius zu machen, egal ob er nur für ein Wochenende bleibt, oder ob er hierher ziehen und für immer bleiben möchte. Wir sind als “Go Vilnius” also nicht nur für Tourismus und Reisen verantwortlich, sondern auch für die Business Entwicklung der Stadt. Wir laden auch Investoren und Business Partner ein, die wir dann hier in unserem neuen Büro empfangen.
Wie viele Personen gehören zu Ihrem Team?
Wir haben ungefähr 50 Mitarbeiter, hier in unserem Hauptbüro arbeiten etwa 25. Aber zu uns gehören auch noch die verschiedenen Tourismus-Informationszentren und wir betreiben das Internationale Haus hier in Vilnius. Das Internationale Haus bietet kostenlose Unterstützung und Hilfe für Personen und Firmen, die sich in Vilnius niederlassen wollen, zum Beispiel bei der Vermittlung von Aufenthaltsgenehmigungen, Versicherungsfragen, Unternehmensgründungen oder Steuerfragen.
Der Tourismus befindet sich überall in einer Krisensituation, da er während der Pandemie fast zum Erliegen gekommen ist. Was sind die Trends im Tourismus die Sie für Vilnius für 2022 und 2023 sehen?
Wir hatten bis 2019 viele Jahre lang stetig steigende Touristenzahlen. 2019 war unser goldenes Jahr und wir waren sehr froh, aber dann kam die Pandemie und damit auch keine Touristen mehr. Unser Ziel für 2022 ist es, den Tourismus wieder anzukurbeln und die Zahlen von 2019 zu erreichen. Und da sind wir auf einem guten Weg. Wir haben jetzt die Statistiken für die ersten fünf Monate in diesem Jahr vorliegen, und die Zahlen zeigen, dass wir bei 70 bis 75 Prozent der Zahlen von 2019 liegen. Wir sind also sehr optimistisch.
Aus welchen Ländern kommen die meisten Besucher?
Die meisten Besucher kommen aus unseren Nachbarländern, Polen, Lettland und Weißrussland. In absoluten Zahlen ist Polen die Nummer eins, da es größer als Lettland ist. Aber wir haben auch viele Touristen aus Deutschland, den USA, dem Vereinigten Königreich, Estland, Frankreich und Italien.
Wie lange bleiben die Besucher?
Im Durchschnitt bleiben die Besucher zwei Nächte. Wir bewerben Vilnius auch aktiv als Reiseziel für Städtereisen und Kurz-Reisen. Die Touristen kommen in der Regel für zwei bis drei Tage hierher und besuchen dann andere Städte in Litauen, wie Kaunas, oder sie reisen weiter in andere baltische Länder.
Was können Sie tun, um die Touristen zum längeren Verbleiben zu bewegen?
Es ist nicht unser Ziel, die Besucher zu ermutigen, länger zu bleiben. Es ist ein globaler Trend und ein Fakt, dass die Menschen häufiger reisen, aber sie bleiben kürzer an einem Ort oder buchen gleich Rundreisen. Daher konzentrieren wir uns eher darauf, mehr Menschen zu uns einzuladen und ihnen Angebote zu machen, wie sie das Beste aus einem zwei-- oder drei-tägigen Aufenthalt machen können.
Was sind bemerkenswerte Sehenswürdigkeiten in Vilnius, die Sie jedem Touristen empfehlen können?
Ein Muss ist natürlich unsere Altstadt, sie ist einfach schön und voller architektonischer Kostbarkeiten unterschiedlicher Stilrichtungen von Gotik bis Klassizismus. Es gibt viele Grünflächen und Parks und es gibt neue Stadtteile, wie Uzupis, die unabhängige Republik inmitten unserer Stadt.
Gibt es spezielle Angebote für bestimmte Personengruppen, z.B. für Familien mit Kindern oder Jugendliche?
Ja, wir haben ganz spezielle Angebote, die auf verschiedene Zielgruppen zugeschnitten sind. Was für Vilnius einzigartig ist, sind die Heißluftballons. Sie sind deswegen so einzigartig, weil man bei uns direkt über die Altstadt fliegen kann, was in anderen europäischen Hauptstädten nicht erlaubt ist. Normalerweise fliegen jeden Tag 10 bis 15 Ballons - wenn das Wetter es zulässt - aber manchmal sind es sogar 100 Ballons, die gleichzeitig fliegen. Kajakfahren ist ein weiteres Angebot - und hier ist wiederum einzigartig, dass die Kajaktouren direkt auf der Neris durch das Zentrum der Stadt führen. Wir haben da Routen für jeden Schwierigkeitsgrad im Angebot. Durch die hohe Fließgeschwindigkeit der Neris kommen auch ungeübte Paddler ans Ziel – sie können sich quasi treiben lassen. Es gibt aber auch für fortgeschrittene Paddler Wildwasser-Strecken mit einigen Stromschnellen. Wir haben Radtouren und spezielle Wandertouren im Angebot. Die anspruchsvollste Tour ist eine 100 Kilometer lange Wanderung rund um Vilnius. Und natürlich haben wir sehr gute Restaurants, so dass wir auch spezielle Touren für Feinschmecker anbieten.
Was können wir im nächsten Jahr für die 700-Jahr-Feier der Gründung von Vilnius erwarten?
Das Jubiläum findet zwar erst nächstes Jahr statt, aber wir bereiten uns bereits heute darauf vor und haben verschiedene Initiativen gestartet. Das Jubiläum wird natürlich noch mehr Menschen anziehen und wir hoffen auf neue Besucherrekorde. Normalerweise gibt es in Vilnius schon viele Veranstaltungen, aber während des Jubiläum-Jahres wird es noch viel mehr und viel größere geben. Es sind mehrere Festivals, kulturelle Veranstaltungen und Konzerte geplant. Der eigentliche Geburtstag von Vilnius selbst ist am 25. Januar und beginnt mit dem traditionellen "Lichterfest" (“Festival of Lights”), gefolgt von vielen Kultur-Festivals, die dem Jubiläum gewidmet sind.
Hat Litauen alle Pandemie-Reisebeschränkungen aufgehoben?
Wir sind sehr froh, dass wir keine Reisebeschränkungen für Besucher mehr haben. Wir hoffen, dass das auch so bleibt. Urlauber aus allen Ländern können nach Litauen einreisen und für Deutschland haben wir viele Direktflüge zwischen deutschen Städten und Vilnius, so dass es für deutsche Touristen sehr einfach ist, her zu kommen.
Im Tourismus beobachten wir den Trend, das die Luxussegmente immer gefragter werden. Sehen Sie das auch steigenden Bedarf und mehr Angebote in Ihrem Land?
Luxusreisen sind nicht unser Hauptschwerpunkt im Tourismus. Aber wir haben sehr gute Hotels, gute SPAs und gute Restaurants, also haben wir auch im Hochpreissegment viel zu bieten. Und wenn Sie auf Bernstein anspielen - das ist unser Hauptsouvenir in Litauen und man kann überall Schmuckstücke aus Bernstein kaufen, von sehr preiswerten bis zu teuren hochwertigen Stücken, zum Beispiel mit Einschlüssen. Aber für uns ist das eine Art traditionelles Souvenir und wir zählen das nicht zum Luxus.
Wir haben in Europa und auch in Deutschland eine Diskussion über Overtourismus - prominentestes Beispiel ist die Stadt Venedig, die künftig eine Eintrittsgebühr erheben und gleichzeitig auch die Besucherzahlen beschränken will. Ist das auch für Sie ein Thema?
Nein, in Vilnius ist das kein Thema. Selbst in unserem goldenen Jahr 2019 hatten wir keinen Overtourismus, wir sind eher der Meinung, dass wir noch nicht richtig entdeckt wurden. Wenn Menschen über Reiseziele nachdenken, stehen wir sicherlich nicht ganz oben auf der Liste. Normalerweise haben die Leute keine Erwartungen, wenn sie nach Vilnius kommen, für sie ist es nur eine weitere Hauptstadt in Europa, und wenn sie Vilnius dann sehen, dann sind sie positiv überrascht. Unser Ziel ist es also, alle Menschen einzuladen und wir haben keine Angst vor Overtourismus. Aber natürlich ist Nachhaltigkeit für uns ein Thema. Es ist sehr wichtig für uns, die Umwelt für uns und für die nachfolgenden Generationen zu erhalten. Wir haben ein intelligentes Stadtkonzept, zum Beispiel zur Verringerung des CO2-Fußabdrucks und für mehr Recycling. Viele unserer Hotels haben das Zertifikat des Grünen Schlüssels (Green Key Certificate) erhalten, was sie als umweltbewusste Unternehmen ausweist.
Was ist vor allem für Touristen aus Deutschland die größte Überraschung bei einem Besuch in Ihrer Stadt?
Das ist ganz sicher die Altstadt, die auch von der UNESCO in die Liste der Weltkulturerbe-Stätten aufgenommen wurde. Sie ist sehr schön, aber auch sehr lebendig, mit vielen Menschen, Cafés, kulturellen Veranstaltungen, gutem Essen, guten Preisen und smarten Leuten, sehr gastfreundlichen Leuten, also mögen es die Deutschen hier definitiv. Wir haben sogar eine deutsche Straße (Vokiečių gatvė) - es ist eine der Hauptstraßen und eine der ältesten Straßen in Vilnius, in der Nähe des Rathauses, mit vielen schönen Gebäuden. Früher wohnten hier Kaufleute aus Hansestädten und die Straße war ein Handelszentrum der Stadt.
Vielen Dank für das Gespräch.
https://www.govilnius.lt/ - https://www.700vilnius.lt/en/
Mit Inga Romanovskienè, Direktor „Go Vilnius”, sprach Ronald Keusch.
Unser Autor ist freier Journalist mit dem Schwerpunkt Tourismus, er lebt und arbeitet in Berlin.
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