Scheer

Reise in eine ehemalige Residenzstadt an der jungen Donau

Ferien am Fluss regen zum Träumen an: Ganz besonders, wenn dieser Fluss Donau heißt. Auf der Brücke in Scheer stehend und einem im Wasser treibenden Blatt nachsinnend, kann man mit seiner Vorstellungskraft durch viele Länder und Kulturen bis hinunter ins Schwarze Meer reisen.

An der schönen (jungen) blauen Donau

Deutsche Donau

Hoch über der Stadt Scheer und der Donau thront das Schloss auf einem Felsen und benachbart dazu die Pfarrkirche St. Nikolaus, eine Perle des Barock, auch wenn sie nicht an der Schwäbischen Barockstraße liegt. Aus der Altstadt führt eine gedeckelte Steintreppe zur ursprünglich gotischen, dreischiffig konzipierten Kirche empor. Die Barockisierung der Kirche war dem Zeitgeist in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts geschuldet. Das Innere mit den „flammenden Stuckaturen“ in Altrosa ist Wessobrunner Stuckatoren zu verdanken. Puttiköpfe zieren die Langhauskapitelle; Stuckmarmor ummantelt die Langhauspfeiler und auch die Kanzel besteht aus diesem Material. Neben das „flammende Altrosa“ wurden goldfarbene, vegetabile Stuckornamente gesetzt. Sechs Jahre wurde an den Fresken gearbeitet, die teilweise illusionistisch ausgeführt wurden. Es ist ein beeindruckendes Bildprogramm, das den Satz „Am Anfang stand das Wort“ Lügen straft: Von der Nordwand schaut eine gemalte Europagruppe über die Balustrade ins Kirchenschiff. Im Vorderteil des Mittelschiffes befindet sich das Deckenfresko, das Jesus zeigt, der mit Johannes das Abendmahl begeht. Verehrt werden in St. Nikolaus die Heiligen Wunibald, Willibald und Walburga – und das seit mehr als vier Jahrhunderten. Kupfervergoldet sind die Büstenreliquare der drei Heiligen, die zum Kirchenschatz gehören.

„Gern lade ich alle ReiseTravel User zu einer Reise nach Scheer ein“.

Deutsche Donau

Jürgen Wild Bürgermeister von Scheer an der Donau, ehemalige Residenzstadt.

ReiseTravel recherchierte im Stadtarchiv von Scheer und ergründete eine große Vergangenheit einer kleinen ehemaligen Residenzstadt:

Der Schriftsteller Eduard Mörike hielt sich längere Zeit bei seinem Brüder Karl auf, seines Zeichens Amtmann in Thurn- und Taxisschen Diensten in Scheer. Hier er ließ seine nicht erwiderte Liebe in eine Reihe erotisch angehauchter Gedichte wie „Josephine“ einfließen. Bekannt wurde Mörike mit der Reise des Schusters Schupp quer über die Alb nach Ulm, die er in „Das Stuttgarter Hutzelmännlein“ niederschrieb. 

Des Schusters Schupp Spuren kann man heute in einer organisierten Wanderung ohne Gepäck folgen. Wer reist und neue Eindrücke mitnehmen möchte, der sollte auf regionale Gaumenfreuden nicht verzichten: Sehr gut speist man in der ehemaligen Zehntscheuer unterhalb des Schlossbergfelsens.

In der dortigen Brunnenstube des Ehepaars Coquelin wird regionale und französische Küche zelebriert: Wie wäre es mit Bärlauch-, Paprika- oder Spargelparfaits mit Hagebuttenmeerrettich zu Einstimmung? Zum Hauptgang kann es dann vielleicht eine Trilogie vom Reh mit hausgemachten Spätzle sein. Zu empfehlen ist auch der hausgemachte Holunderlikör, den man auch als kleines Mitbringsel für die Daheimgebliebenen mitnehmen kann.

Ähnlich gut ist die Küche des Hotels Donaublick, das im ehemaligen Bahnhof von Scheer Gäste empfängt. Ob man Schweinerücken im Kräutermantel auf Cognacrahmsoße und zum Nachtisch hausgemachtes Rhabarbereis mit Balsamicocreme wählt, ist schlicht eine Frage der jeweiligen Vorlieben. Ein regionales Zoller-Hof Zwickelbier sollte man auf jeden Fall probieren. So gestärkt und nach einer angenehmen Nacht kann man am nächsten Morgen gen Sigmaringen aufbrechen.

Kleiner Exkurs in die Vergangenheit

Vielleicht liegt es in der Kleinräumigkeit der ehemaligen Grafschaft Friedberg-Scheer begründet, dass ihre grundlegende Geschichte bis auf den heutigen Tag noch nicht geschrieben ist und in den letzten Jahren allenfalls in der Untersuchung einzelner Aspekte eine gewisse Bewegung zu verzeichnen ist.

Die 700-Jahr-Feier der Bestätigung der Stadtrechte ist sicherlich ein willkommener Anlass und Impuls, die wechselvolle Geschichte dieser auch heute noch kleinen Stadt mit ca. 2.700 Einwohnern in ihren wesentlichen Zügen Revue passieren zu lassen. Ohne sich dabei zu sehr in einer Fülle von Details zu verlieren, findet ein solches Vorhaben allein schon in dem Umstand seinen besonderen Reiz, dass wir es im Falle von Scheer seit dem Spätmittelalter sicherlich mit einer der kleinsten Residenzstädte in Deutschland zu tun haben.

Als während der Revolution von 1848 das Gerücht entstand, bewaffnete deutsche Arbeiter seien von Frankreich aus in Baden eingedrungen und von Offenburg her seien 40.000 Franzosen im Anmarsch, wandte sich das württembergische Oberamt Saulgau mit der Bitte um militärische Unterstützung an die Kreisregierung in Ulm. Diese ordnete die umgehende Bewaffnung der Bürgerschaft an, sodass auch in Mengen und Scheer das Bürgermilitär aufgeboten wurde.

Am 25. März rückte die Mengener Bürgerwache nachmittags nach Scheer ab, um ihren dortigen Kameraden Verstärkung zukommen zu lassen. Das Unternehmen wurde indes ein Fehlschlag: Die Mengener begaben sich in das Scheermer Bräuhaus und kehrten noch am selben Abend zurück, aufgebracht darüber, dass sie ihre Zeche auch noch selbst hatten tragen müssen.

War somit das Interesse der hilfsbereiten Nachbarstädter offenbar an jenem Tag eher leiblichen Genüssen zugetan, so wird man aus heutiger Sicht umso weniger bezweifeln, dass die Stadt Scheer nicht auch noch andere Reize zu bieten hatte.

Schon das Wappen der Stadt Scheer verweist uns auf eine Geschichte, die im Jahre 1289 einen ersten Höhepunkt erreicht hatte und eingebettet war in bedeutsame territorialpolitische Bestrebungen, die nach dem Untergang des staufischen Kaiserhauses in der darauf folgenden Zeit chaotischer Orientierungslosigkeit einsetzten.

Das Scheerer Wappen zeigt uns jedenfalls eine silberne Schneiderschere mit nach oben geöffneten Scheren, darüber einen silbernen Fisch, darunter einen sechsstrahligen goldenen Stern, den übrigens auch Sigmaringen in sein Wappen übernahm.

Dieser Stern gilt als ein Symbol enger Beziehung zum Königtum und ist sicherlich bewusst eingebracht worden, ähnlich wie man z. B. in den Siegeln anderer habsburgischer Städte wie Veringenstadt, Mengen oder Saulgau den habsburgischen Löwen findet. Sind wir somit auf die habsburgische also österreichische Tradition Scheers verwiesen, so stellt die Schere im Spiegelbild ein sog. redendes Element dar - sie leitet sich her von dem Wort scera - Felsklippe - und bezeichnet den Namen des Ortes wie der Fisch seine Lage an der Donau.

Das Symbol der Schere ist übernommen worden aus dem Wappen des königlichen Landrichters Swigger von Deggenhausen, der 1295 bis 1299 bezeugt ist, der Fisch stammt aus dem Wappen der Herren von Bartelstein.

Anstelle des Sterns erscheinen übrigens in Siegeln des 15. bis 19. Jahrhunderts auch Rosen. Seit 1925 gibt es eine Darstellung, die den silbernen Fisch in einem blauen Schildhaupt abbildet; dies ist allerdings eine heraldisch regelwidrige Farbenverbindung von Blau und Rot, wie sie bis heute noch in der Stadtflagge erscheint. Im Jahre 1968 ist das Scheermer Wappen wieder auf die älteste bekannte Form zurückgeführt worden.

Scheer wird 1259 erstmals urkundlich erwähnt, doch verweisen keltische und alemannische Grabfunde auf eine bereits frühe Besiedlung des Gebiets, das seit der Mitte des 12. Jahrhunderts der Herrschaft der Pfalzgrafen von Tübingen unterstand; eine ihrer Linien nannte sich 1258 „Scherer“, noch vor 1267 ging die Herrschaft an Graf Hugo von Montfort über, welcher seitdem gleichfalls den Namenszusatz „de Schera“, also „von Scheer“ führte.

Seine Stadtwerdung verdankt Scheer der zielstrebigen und weiträumig angelegten Politik Rudolfs von Habsburg. Diese wird erst recht verständlich auf dem Hintergrund des sog. Interregnums, d. h. der kaiserlosen Zeit nach dem Untergang der Staufer, welches gerade für den deutschen Südwesten mit seiner traditionell engen Verflechtung mit dem Reich und der kaiserlichen Politik nachhaltigste Wirkungen gezeitigt hatte, ja man kann hier geradezu von einem Zustand völliger Zerrüttung sprechen.

Erst mit Rudolf von Habsburg setzten konstruktive neue Maßnahmen ein, diesem Zustand ein Ende zu bereiten, wobei es für ihn nur einen Weg zu diesem Ziel geben konnte: Nämlich die Wiederherstellung eines schwäbischen Herzogtums durch eine schwäbische Adelssippe, wie sie die Habsburger darstellten. Eine wirkliche und zumal territorial geschlossene Hausmacht besaßen die Habsburger indes nicht, sie musste vielmehr erst noch geschaffen werden, um eine durchsetzungsfähige Machtposition zu erlangen.

Österreich wurde somit zwar im 14. und 15. Jahrhundert der größte Territorialherr im deutschen Südwesten, doch verhinderte der Widerstand des konkurrierenden Adels die Umsetzung weitergehender Pläne und beschränkte die Habsburger auf unzusammenhängende Herrschaftsgebiete von Elsass und Breisgau bis in das östliche Schwaben.

Die Wahl Rudolfs von Habsburg zum deutschen König im Jahre 1273 musste auf diesem Hintergrund naturgemäß ein Markstein darstellen. Was bis dahin habsburgisches Eigen- oder Lehnsgut war, also die Gebiete an Oberrhein, Hochrhein und Schwarzwald, wurde zur Grundlage weiterer Expansionsversuche. Das sog. Habsburger Urbar, ein Güterverzeichnis österreichischer Besitzungen, ist hierfür eine wichtige Quelle: An innerschwäbischen Besitzungen Österreichs werden ausdrücklich erwähnt, Friedberg, Saulgau, Veringen, Riedlingen, Sigmaringen, Gutenstein, Scheer, Munderkingen und Gundelfingen. Zwar blieben nicht alle diese „Ämter“, wie die Verwaltungseinheiten bezeichnet wurden, in österreichischem Besitz: Sigmaringen kam z. B. in zollerische Hände, während die anderen vielfach verpfändet wurden und in unterschiedlich enger Verbindung zum Hause Habsburg blieben.

Mit Friedberg ist das Stichwort gefallen für jenes Gebiet, das in den nächsten Jahrhunderten in engster Verbindung mit Stadt und Herrschaft Scheer verbleiben sollte. Der Ort Friedberg wird im Jahre 1274 erstmals als Burg erwähnt - schon 1404 übrigens nur mehr ein Burgstall. Er war der Mittelpunkt der „Grafschaft im Tiengau und Ergau“, die im Jahre 1282 durch Rudolf von Habsburg für 1.280 Mark Silber von Graf Mangold von Nellenburg für Österreich gekauft worden war.

Anfang des 14. Jahrhunderts gehörten zu dieser Grafschaft eine ganze Reihe von Gütern, Zehnten und sonstigen Abgaben in einem Gebiet, das etwa durch folgende Orte umschrieben wird: Hohentengen, Blochingen, Herbertingen, Marbach, Völlkofen, Eichen, Bremen, Ursendorf, Günzkofen, Beizkofen, Wolfartsweiler, Knechtenweiler, Enzkofen, Wirnsweiler, Gunzenhausen, Bogenweiler, Wilfartsweiler.

Aber kommen wir zurück zur Herrschaft Scheer, die wahrscheinlich im Jahre 1288 durch Graf Hugo von Montfort an Rudolf von Habsburg verkauft werden musste, nachdem jener in einem Aufstand unterlegen war. Im Jahre 1289 bestätigte Rudolf dem Rat und den Bürgern der Stadt Scheer die Rechte von Freiburg im Breisgau, d. h., Freiburg lieferte mit seiner Stadtverfassung das Muster für Scheer. Der Ort stellte damit ein festes, juristisch umschriebenes Gebilde innerhalb der habsburgischen Territorien dar, mit dem Recht z. B. auf eine eigene Ummauerung, bestimmte Zölle und Abgaben, eine eigene Gerichtsbarkeit und Verwaltung. Dem Stadtrat und Stadtgericht stand als Stadtoberhaupt ein Amtmann oder Schultheiß vor. Er musste von der Herrschaft bestätigt werden und nahm auch deren Interessen wahr. Die kommunale Selbstverwaltung wurde der städtischen Selbstverwaltung unterworfen, welche von besonders hierzu berufenen Bürgern ausgeübt wurde. Ein eigenes Stadtgericht hatte den Frieden zu wahren.

Scheer selbst stellt sich in jener Zeit dar als eine kleine Siedlung unterhalb einer Burg, geschützt durch eine rechteckige Mauer. Die Donau bot der Stadt einen natürlichen Schutz, der durch einen flutbaren Wassergraben vor der Stadtmauer noch verstärkt werden konnte. Es gab eine Haupt-, also Durchgangsstraße und unregelmäßig sich hieran anschließende Gassen, jedoch keinen Marktplatz, wie überhaupt die Verleihung eines Marktes erst 1489 nachträglich erfolgte. Dieser Umstand sowie die günstige strategische Lage lassen darauf schließen, dass die Stadtgründung vorwiegend auf militärische Gründe zurückzuführen ist. Scheer selbst konnte durch das Menger bzw. das Sigmaringer Tor betreten werden; erst viel später gab es noch ein drittes, kleineres Tor. Der eigentliche Burgbezirk wurde durch eine weitere Mauer gesichert und umfasste in seiner Erweiterung auch die Kirche.

Ein Rathaus fehlte: Die öffentlichen Angelegenheiten wurden auf der Burg oder im Wirtshaus geregelt; so lässt sich darüber spekulieren, ob es vielleicht schon in dieser frühen Zeit eine Art von Stammtischpolitik gegeben haben könnte. Gerichtsverhandlungen fanden jedenfalls im Freien statt.

Nur ein knappes Vierteljahrhundert ist Scheer indes Verwaltungszentrum einer kleinen habsburgischen Herrschaft geblieben. Diese bestand aus Burg und Stadt Scheer, Ennetach, Blochingen, einem Teil von Bremen, Staudach, mehreren Höhen in Zielfingen, dem Maierhof und Kirchensatz in Bingen. An der Spitze der Verwaltung stand der Vogt Konrad Schiltung, daneben ein Landrichter, ein Forstmeister sowie Amtmänner für richterliche und finanzielle Aufgaben.

Schon im Jahre 1314 sah sich Herzog Leopold von Österreich aufgrund hoher Kriegskosten und Defizite genötigt, die Herrschaft Scheer und ein Jahr später auch die Grafschaft Friedberg an den Grafen Wilhelm von Montfort zu verpfänden. Scheer und Friedberg erlitten damit ein Schicksal, wie es auch eine Reihe anderer Besitzungen Habsburgs zu vergegenwärtigen hatten. Der Vorteil einer Verpfändung lag darin, dass sie einerseits dringend benötigtes Kapital einbrachte, andererseits aber kein Eigentum übertrug. Der Gläubiger hatte das Recht, das Pfand mit allem Zubehör zu besitzen und zu nutzen, ohne dass dieses auf die Pfandsumme angerechnet wurde; dafür aber war er zur Unterhaltung des Pfandes ebenso verpflichtet, wie zum Schutz seiner Bewohner, die ihm Huldigung zu leisten hatten.

Mit der Weiterverpfändung des Gebietes durch die Grafen von Montfort wegen Verschuldung im Jahre 1398 an Heinrich von Reischach setzt in den nächsten Jahrzehnten eine mehrfach wechselnde Reihe von Pfandinhabern ein, die indes an dieser Stelle nicht näher in den Blick genommen werden braucht. Von größter Bedeutung wurde vielmehr das Jahr 1452, als Herzog Sigismund von Österreich die Grafschaft Friedberg mit Schloss und Stadt Scheer an den Reichserbtruchsessen Eberhard von Waldburg zunächst verpfändete und kurz darauf für 32.000 rheinische Gulden verkaufte. Beide verblieben bis 1786 im Besitz des Hauses Waldburg.

Scheer selbst wurde zur Residenz einer waldburgischen Linie, der Grafen von Sonnenberg, und damit Verwaltungssitz auch für die Grafschaft Friedberg. Um 1472 erhielt die Stadt innerhalb ihrer Mauern ein Rathaus, das erst 1838 an den heutigen Platz außerhalb der alten Stadtmauer verlegt wurde.

Eine der bedeutendsten und markantesten Persönlichkeiten der Grafen von Sonnenberg war Graf Andreas (1479 bis 1511): Er ließ im Jahre 1485 in Scheer die ältere Burg aus dem 11. Jahrhundert abreißen und durch den Meister Lienhart aus Mengen ein zeitgemäßes Schloss in spätgotischen Formen errichten, wie es auch heute noch - weitgehend renoviert - die Landschaft beherrscht.

Die Schlosskapelle wurde 1505 eingeweiht. Graf Andreas ist gleichfalls verantwortlich für den Neubau der Kirche St. Nikolaus, von 1492 bis 1509 anstelle einer älteren Kirche erbaut. Das Patronat des hl. Nikolaus von Myra als Beschützer gegen die Wassergefahr, erstmals 1365 nachweisbar, verweist uns im Übrigen auf eine ganze Reihe von Naturkatastrophen, die Scheer im Laufe der Jahrhunderte immer wieder durch Donau-Hochwasser und sonstige Unwetter über sich ergehen lassen musste.

Neben dem Pfarrer waren hier einmal zehn Kapläne tätig, von denen jeder seinen eigenen Nebenaltar hatte. Unter dem Chor befindet sich die Gruft des Grafenhauses, in der auch Andres nach seiner Ermordung seine letzte Ruhestätte gefunden hat. Sein hervorragendes Renaissance-Epitaph ist noch heute in der Kirche zu bewundern: Es zeigt den Verstorbenen in voller Rüstung. In der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde die Kirche im Rokoko-Stil renoviert und in dieser Zeit auch die „ziemlich plumpen und nicht unanstößigen Deckengemälde“, wie sie noch im Jahre 1829 ein Kritiker zu beurteilen müssen glaubte, angefertigt.

Dass Graf Andreas indes nicht nur künstlerischen Dingen zugetan war, sondern darüber hinaus auch energisch, zielstrebig, ja rigoros vorzugehen vermochte, davon zeugt nicht nur die konsequente Organisation seiner Herrschaftsverwaltung und der zügige Abbau seiner Schulden, sondern auch eine ganz andere, fast makabere Geschichte: Der Kaiser hatte ihm nämlich die Ehefrau, eine verwitwete Holländerin, vermittelt, die jedoch zwischenzeitlich heimlich einen Kaufmann geheiratet hatte. Diesen hielt sie sich als ihren Hofmeister in Scheer. Als Andreas dieses aufgedeckt hatte, ließ er seine Ehe annullieren und seine vormals Angetraute kurzerhand lebenslänglich in einen Turm einmauern.

Raue Sitten und damit durchaus auch dem Geist der Zeit entsprechend finden sich aber z. B. gleichfalls in schon damals in Scheer praktizierten Fastnachts-Bräuchen: In der sog. „Herrenfastnacht“, die der Schlossherr feierte, vergnügte man sich offenbar mit dem Werfen von Hunde-Aas. Weit harmloser ist daher die in Scheer bereits im 15. Jahrhundert überlieferte fast modern anmutende Sitte, dass die Bürgerschaft an das Schloss stürmte und dann beköstigt wurde.

Mit der Herrschaft Scheer und der Grafschaft Friedberg verbunden waren seit dem Übergang an das Haus Waldburg auch die Herrschaften Dürmentingen und Bussen. Die Herrschaft Bussen war bereits 1387 als Pfand an Waldburg gekommen und gewann 1454 den Rechtsstatus einer sog. „mannserblichen Innhabung“, d. h., sie konnte nicht wieder eingelöst werden, sollte aber nach dem Aussterben der Truchsessen im Mannesstamme ohne Rückzahlung der Pfandsumme an Österreich zurückfallen.

Hierüber und über andere Probleme, die vor allem die sog. fünf Donaustädte, also Mengen, Munderkingen, Riedlingen, Saulgau und Waldsee betrafen, die sich gleichfalls im Besitz der Truchsessen von Waldburg befanden, entbrannte ein langwieriger Streit mit Österreich, der erst im Jahre 1680 sein Ende fand: Österreich überließ Waldburg das Pfand Bussen als ewige Mannsinhabung, während dieses die Donaustädte zurückgab und die bis dahin als Eigen beherrschte Grafschaft Friedberg-Scheer als österreichisches Mannslehen anerkannte, mithin zumindest auf dem Papier Abstand nahm vom Anspruch auf volles Eigentum.

Überhaupt ist das 17. Jahrhundert mit dem 30-jährigen Krieg und seinen Nachwehen eine große Leidenszeit auch für unsere Grafschaft gewesen. So sank die Einwohnerzahl der Stadt Scheer 1635/6 durch Hunger und Pest von 800 auf 300, die Ortschaften verödeten und die Felder konnten kaum mehr bestellt werden. Truchseß Wilhelm Heinrich floh nach Konstanz und überließ seine Grafschaft mehrfacher Ausplünderung durch die herumziehenden Heere unterschiedlicher Nationalität. Für Scheer berichtet eine Quelle zum Jahr 1639: „Das Städtchen ward so gefoltert, geschlagen und ausgesogen, dass das kleine Häuflein Bewohner, dem Hungertode zu entgehen, es voll acht Tage gänzlich verlassen hatte. Kein lebendes Wesen war mehr darin zu finden.“

In der Zeit des Grafen Maximilian Wunibald (1663 bis 1717) musste sie schon wieder aufgegeben werden; der Graf selbst wurde wegen seines unsoliden Lebenswandels und seiner Verschwendungssucht sogar vorübergehend gefangen gesetzt und über Jahre hinweg musste eine kaiserliche Kommission zur Durchführung der Regierungsgeschäfte eingesetzt werden.

Das gesamte Areal der „Neuen Residenz“ wurde übrigens im Jahre 1862 durch den Braumeister Götz erworben. Es kann daher nicht verwundern, dass es in der Scheermer Bevölkerung immer wieder gärte, ja, dass es vereinzelt sogar zur offenen Empörung gekommen ist.

Im Jahre 1686 kam es endlich zu einem Vergleich, in dem die Rechte zwischen Bürgern und Herrschaft festgeschrieben wurden: Die Stadt Scheer erhielt nunmehr u.a. einen Teil der niederen Gerichtsbarkeit übertragen, die Frondienste wurden erlassen, Bürgermeister und Rat sollten von der ganzen Bürgerschaft gewählt werden. Ein Ende der Unruhen brachten diese Zugeständnisse indes nicht, insbesondere die hohen Abgaben erwiesen sich als Grund für stete Ärgernisse und wirkten sich besonders gegen die landesherrlichen Beamten aus.

Symptomatisch ist eine Begebenheit aus dem Jahre 1705: Der Amtsbürgermeister sah sich wieder einmal genötigt, die Scheermer Bürger unter Strafandrohung auf das Rathaus kommen zu lassen. Viel Erfolg hatte diese Maßnahme offenbar nicht, denn unsere Quelle berichtet als Reaktion der Gescholtenen: „Nach einer Viertelstunde sind sie alle wie wilde Tiere dem Wald zugelaufen und haben dort mit stürmischer Hand einen Hirsch demoliert, dabei gejauchzt und geschrien.“

Die Herrschaft der Waldburger über die Grafschaft Friedberg-Scheer ging mit dem Tode des kinderlosen Grafen Leopold-August (1756 bis 1764) ihrem Ende entgegen. Er hinterließ seine Frau Maria Anna Monika, die noch bis zu ihrem Tode im Jahre 1775 im Schloss Scheer wohnte. Gräfin Monika blieb der Nachwelt vor allem dadurch in Erinnerung, dass sie 1775 testamentarisch für die Armen und das Schulwesen der Grafschaft den „Landschaftlichen Hausarmen- und Schulfonds“ ins Leben rief.

Diese Stiftung trug vor allem im 19. Jahrhundert nach dem Übergang an Württemberg ihre Zinsen; im 20. Jahrhundert ließen Inflationen und Währungsumstellungen die Erträge so weit zurückgehen, dass die Stiftung schließlich im Jahre 1979 aufgehoben wurde.

Mit dem Tode der Gräfin Monika erlosch die Herrschaft des Hauses Waldburg über Friedberg-Scheer, das nunmehr durch eine Erbengemeinschaft verwaltet wurde.

Der Oberamtmann Clavel sollte später berichten, dass nun endlich unter dieser „gelinden Regierung auch allmählich die Untertanen friedlich wurden.“

Im Jahre 1786 gingen jedenfalls durch Verkauf die Grafschaft Friedberg sowie die Herrschaften Scheer, Dürmentingen und Bussen für 2.100.000 Gulden an den Fürsten Karl Anselm von Thurn und Taxis über. Seit 1695 hatte das Haus Thurn und Taxis, das seit 1595 den General-Obrist-Postmeister stellte, die Aufnahme in den Reichsfürstenrat, also eine Standeserhöhung, angestrebt, war dabei aber lange Zeit am Widerstand der übrigen Fürsten gescheitert, da es Thurn und Taxis an dem hierfür notwendigen reichsunmittelbaren Territorium fehlte.

Die Neuerwerbung von 1786 ermöglichte nunmehr die endgültige und einwandfreie Realisierung dieses Anspruchs. Am 16.07.1787 erhob Kaiser Josef II. das Gebiet zu einer unmittelbaren reichsgefürsteten Grafschaft mit dem Namen „Friedberg-Scheer“. Das Wappen des Hauses Thurn und Taxis wurde bei dieser Gelegenheit um zwei Felder vermehrt, nämlich um eine Schere im silbernen Schild für Scheer und einen roten Löwen in Gold für Friedberg.

Unter dem Hause Thurn und Taxis wurde die Grafschaft verwaltungsmäßig in zwei Oberamtsbezirke getrennt: Das Oberamt Scheer war für die obere Grafschaft zuständig, welche die Herrschaft Scheer mit Blochingen und Ennetach sowie die Grafschaft Friedberg mit Sießen und Hohentengen umfasste; das Oberamt Dürmentingen war für die untere Grafschaft zuständig, bestehend aus den Herrschaften Bussen und Dürmentingen. Die Grafschaft Friedberg-Scheer umfasste damit etwa 180 km² und zählte im Jahre 1789 8820 Einwohner. Die größten Orte waren das Dorf Herbertingen mit 1148 und die Stadt Scheer mit 748 Einwohnern. Die Bevölkerung war fast ausschließlich katholischer Konfession, im Jahre 1823 standen 829 Katholiken ein Protestant, im Jahre 1829 910 Katholiken vier Protestanten gegenüber.

Hauptbeschäftigung war die Landwirtschaft, das Gewerbe wurde als von nur geringer Bedeutung eingestuft, mit einer bezeichnenden Ausnahme: Die standesherrschaftliche Brauerei verzeichnete einen lebhaften Betrieb. Noch 1829 wird auf einen weiteren Umstand besonders hingewiesen: Die Sterblichkeit in Scheer soll gerade im Vergleich mit Mengen sehr viel geringer gewesen sein. Ob dies allerdings mit dem Umsatz in der Brauerei zusammenhing, will ich nicht entscheiden.

Das 19. Jahrhundert, mit dem der Streifzug durch die Geschichte Scheers und seiner Grafschaft abgeschlossen werden soll, brachte noch eine Reihe maßgebender Veränderungen. Im Jahre 1806 fiel nämlich auch die Thurn und Taxissche Grafschaft Friedberg-Scheer der sich seit 1803 in ganz Deutschland ausbreitenden Welle von Säkularisierungen und Mediatisierungen zum Opfer, mit anderen Worten: Sie verlor ihre Unabhängigkeit und fiel an das neue Königreich Württemberg. Es ist bezeichnend, zu welcher Anordnung sich die württembergische Verwaltung gegenüber den neu an sie gefallenen Herrschaften veranlasst sah. Es heißt nämlich: „Es wird einem jeden Bürger und Beisitzer aufgetragen, sich in das Schicksal zu fügen und seine Majestät Friedrich, König von Württemberg, als souveränen Herrn anzuerkennen - und es solle sich ein jeder alles Schimpfens enthalten.“

Mit diesen Vorgängen einher ging ein erheblicher Bedeutungsverlust für unsere Region, wenngleich Scheer auch noch für einige Jahre sich wenigstens eine gewisse Rolle bewahren konnte, indem es nämlich seit 1823 für etwa ein Vierteljahrhundert Sitzung eines Thurn und Taxisschen Amtes und Amtsgerichts, eines Rentamtes und eines Revierförsters blieb bzw. wurde. Die Revolution von 1848 machte auch diesen standesherrlichen Überbleibseln weitgehend ein Ende. Immerhin blieb das Haus Thurn und Taxis noch bis 1967 Eigentümer des Schlosses.

Die Bedeutung Scheers hat im 19. Jahrhundert nach außen hin stark abgenommen. Innerhalb einer landwirtschaftlich geprägten Grafschaft hat wenigstens Scheer als Residenz immer auch einen gewissen Anteil an Handwerk und Gewerbe binden können, schließlich auch einige Behörden beherbergt.

Zu erwähnen ist noch 1881/2 die Gründung einer Senf- und Dampfspulenfabrik: Die eine Hälfte des Gebäudes diente der Bereitung von Senf, die andere der Herstellung von Spulen. Der Bau einer Bahnlinie über Scheer hat diesen Aufschwung sicher gefördert: 1870 wurde die Bahnstrecke Mengen - Scheer, 1873 die Weiterführung nach Sigmaringen eröffnet.

Bereits in der ersten Hälfte des Jahrhunderts ist Scheer über seine alten Grenzen hinausgewachsen. 1825 setzte der Abbruch der Stadttore ein, 1827 der eines großen Teils der Stadtmauer. Der ehemalige Stadtgraben wurde eingeebnet und überbaut.

Ein Reminiszenz an diese Zeit hat sich noch in dem Scheermer Fastnachts-Typ des „Mussbrenners“ erhalten: Als nämlich im Jahre 1827 die Stadtmauer abgerissen wurde, kamen die Arbeiten wegen eines Häuschens an der Mauer, dessen Besitzer seine Zustimmung verweigerte, ins Stocken. In Anbetracht der immerhin zu erwartenden Versicherungssumme beauftragte der Stadtrat daraufhin eines seiner Mitglieder, das Haus heimlich anzuzünden, ein anderes, zur gleichen Zeit Sturm zu läuten, ein Drittes, rechtzeitig mit der Feuerspritze am Orte zu sein. Peinlicherweise verkehrte sich jedoch die logische Folge: Die Feuerspritze fuhr nämlich los, die Feuerglocke läutete, doch das Feuer blieb aus. Dessen ungeachtet posierte sich die Spritze vor dem fraglichen Objekt und versicherte der Spritzenmann, darin müsse es brennen. Tatsächlich fand man in dem Hause einen Ratsherrn, der verzweifelt zu zündeln versuchte - die Strafen sollen nicht allzu hoch ausgefallen sein.

Einer der großen deutschen Romantiker ist mit Sicherheit Zeuge dieser baulichen Veränderungen im Stadtbild von Scheer geworden: Eduard Mörike ist in den Jahren 1828 und 1829 für mehrere Monate bei seinem Bruder Karl, der Amtmann auf dem Schloss war, zu Besuch gewesen.

In Scheer entstanden einige seiner Gedichte und hier hat er sich in die Tochter des Lehrers Klingler verliebt. In Scheer durchlebte Mörike aber auch jene Zeit der Krisis, in der er große Zweifel an seiner Berufung zum Pfarramt bekam, was er auch durchaus in Worte kleidete: „Ich bin auf dem Äußersten und habe fast Lust im Meer das Schwimmen zu probieren und allen Häfen den Hintern zu bieten. Aber einige Melodien muss ich doch auf dem festen Land machen - und wär’s auch nur in Scheer.“

Soweit der Blick in das Archiv der Stadt Scheer an der jungen Donau.

„Scheer ist eine gastfreundliche Stadt“

Deutsche Donau

Jürgen Wild Bürgermeister von Scheer und Manuela Kiemer, Inhaberin Hotel und Restaurant „Donaublick“ Scheer.

„Ankommen, Wohlfühlen, Entspannen“, so das Motto von Manuela Kiemer und deren Begrüßung.

ReiseTravel Fact: Die Vergangenheit einer Kleinstadt kann in Scheer gut nachvollzogen werden. Etwas Abenteuer, im Verbund mit Romantik und guter Küche: Scheer ist zu jeder Jahreszeit eine Reise wert.

Anreise: Radwanderer erreichen Scheer per Fahrrad auf dem Donau-Radweg. Mit der Bahn via Ulm und Stuttgart oder per Flugzeug via Stuttgart, Friedrichshafen oder Memmingen. Im Auto via Stuttgart oder auf Bundesstraßen. Bestens ausgeschildert.

Deutsche Donau: Die Deutsche Donau ist landschaftlich idyllisch gelegen, ob an der Quelle der Donau und Scheer ist eine gastfreundliche Stadt, das könnte auf dem Programm der Reise stehen, ebenso der Besuch der Galerie Schrade in Mochental. Riedlingen ist besuchenswert und Munderkingen mit seinem Museum über die frühere Besiedelung im Oberen Donau Raum. Der „Hohle Fels“ von Schelklingen mit seiner berühmten „Venus“.  

Scheer an der Donau, www.stadtscheer.de

Hotel Restaurant „Donaublick“ Bahnhofstraße 21-28, D-72516 Scheer an der Donau, info@donaublick.dewww.donaublick.de

Arbeitsgemeinschaft Deutsche Donau, Neue Straße 45, D-89073 Ulm, www.deutsche-donau.de - www.die-junge-donau.de

Von Gerald H. Ueberscher mit freundlicher Unterstützung der Stadt Scheer.

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