Leer | Mörderische Ferien |
Auf Krimispuren durch Ostfriesland mit spannenden Aussichten. Eine literarische Reise zu Ostfrieslands dunkler Seite: Mörderische Ferien im blutigen Norden, mit Nervenkitzel hinterm Deich, im Land des Schreckens!?
Schluss mit lustig: Seit „Ostfriesenkiller“ und „Etappenmörder“ die Nordseeküste in Atem halten, dürfte selbst ostfriesischen Blödelbarden wie Otto Waalkes und Karl Dall das Lachen vergehen. Landauf, landab wird erschossen, gefoltert und gemeuchelt was das Zeug hält. In ihren Regionalkrimis legen Klaus-Peter Wolf und Peter Gerdes Blutspuren vom Festland bis zu den ostfriesischen Inseln. Touristiker jubeln, Urlauber haben einen Mordsspaß.
Schaufenster: Kriminelle Köstlichkeiten in einem Norder Schaufenster!
Wie eine Sturmflut überschwemmen derzeit Regiokrimis nicht nur am „Endje van de Welt“ die Büchertische in Buchhandlungen. Ein bisschen ländliche Idylle, eine volle Schippe Nervenkitzel - das lockt auch in diesem Jahr wieder Tausende Touristen an den Nordseestrand.
In Ostfriesland ließ Klaus-Peter Wolf erstmals 2002 Blut aus der Schreibfeder fließen. Die zunächst kaum beachteten Tropfen sind inzwischen eine Monsterwelle, die alle Deiche bricht und bis in die deutschen Bestsellerlisten schwappt. Seit dem Frühjahr jagt Hauptkommissarin Ann Kathrin Klaasen die Serienmörder auch im ZDF. Nach „Ostfriesenkiller“ sollen die Thriller „Ostfriesenblut“ und „Ostfriesenangst“ folgen. Christiana Paul spielt die taffe Blonde aus dem Norder Distelkamp 13. Bemüht um größtmögliche Authentizität lässt der Schriftsteller seine Chefermittlerin in seiner Straße im privaten heimischen Interieur leben. Hier weiß der Meister des Mordes woher der Wind weht, wo eine Tür quietscht oder eine Diele knarrt.
Mittlerweile ist die Eigenheimsiedlung beliebtes Pilgerziel für Krimifans. Klingelt jemand und will wissen: „Wohnt hier Kommissarin Klaasen, ich würde gerne fotografieren?“, finden Wolf und dessen Nachbarn das überhaupt nicht grauenvoll. Seit der Autor fragte: „Ist es Dir recht, wenn ich dein Leben fiktionalisiere und aus dir eine literarische Figur mache?“, geben Protagonisten wie ein Lokalreporter, ein Konditor oder Nachbarn wie das bodenständige Ehepaar Peter und Rita Grendel mit deren wirklichen Namen den Geschichten lokales Flair. Frei erfunden sind nur die Mörder, Opfer und Handlungen.
An einem Nachmittag wölbt sich im Nordseestädtchen Norden ein blasser Himmel über Ostfrieslands ältesten und größten Marktplatz. „Moin. Hier geht Ann Kathrin Klaasen auf Verbrecherjagd“, begrüßt Stadtführerin Susanne Roth zwei Dutzend Krimifans. Aus Beobachtungen, Erlebnissen und Fantasie entstünden fiktionale Handlungen, die stets von der Wirklichkeit an realen Plätzen getragen seien, erzählt die Stadtführerin. Mit einem Wagen voller Krimis entführt sie ihre Gäste zu den Originalschauplätzen in der 762 Jahre alten Stadt.
„Schauen Sie dort“, zeigt sie auf das Teemuseum: „Im Roman gibt Ann Kathrin Klaasen ihrem langjährigen Polizeikollegen Frank Weller im selben Saal das Ja-Wort, in dem Klaus-Peter Wolf geheiratet hat. Vor geduckten backsteinroten Häusern, an Straßen und in Lohnen (Gassen) liest sie Romanpassagen vor: „Er nahm mindestens drei Tassen…und sie sagte, ich weiß, drei Tassen sind Ostfriesenrecht. Aber mir schlägt der starke Tee zu sehr auf den Magen“. An anderer Stelle heißt: „Die kleinen Wasserlachen im Watt glitzerten als hätte das Meer bei seinem letzten Besuch einen Teppich aus Diamanten hinterlassen.“ Mit kulturellen Bezügen und prosaischen Beschreibungen schildere der Autor eine aus den Fugen geratene ostfriesische Welt.
Die Tatorte finsterer Geschehen aus insgesamt zehn Thrillern bieten längst reichlich Stoff für ein fröhlich-düsteres Mord-Hopping im platten Land. Und weil die Bösewichte Angst und Schrecken an tatsächlich existierenden Orten in Ostfrieslands herb-schöner Landschaft verbreiten, haben findige Tourismusstrategen die Gruselgeschichten zur Erfolgsstory für eine mörderisch spannende Feriengaudi fortgeschrieben. Ein „Krimi-Caching“ über 33 Kilometer sowie eine Rätseltour „Up söök in Norddeich“ (Auf Suche in Norddeich) stellt per App den Spürsinn von Hobbydetektiven auf die Probe. Außerdem folgt ein Krimibus den Spuren des „Ostfriesenkiller“ und tourt Leseratten in die dunklen Ecken hinter der Idylle.
Experten begeben sich lieber auf eigene Faust auf Spurensuche. Mit Fahrrad und dem Thriller „Ostfriesengrab“ im Gepäck hätten sie den uralten Schlosspark Lütetsburg „inspiziert“, erzählen zwei Urlauber. In dem Roman gehe es um Kunst und Tod. Der Mörder drapiere in dem Park sein Opfer wie eine Elfe auf verschwenderisch blühende Sträucher - mehr werde nicht verraten. Morgen bei Sonnenuntergang werden sie Norddeichs Jachthafen erkunden, in dem der „Ostfriesenkiller“ zuschlägt, berichten die Scouts und wenden sich wieder der Stadtführerin zu. Die führt die Leserschar soeben ins Café ten Cate. Der plüschig-exklusive Charme vergangener Jahrzehnte ist zwar einem praktisch-nüchternen Ambiente gewichen, trotzdem hat das Jugendstilcafé regelmäßig Auftritte in Wolfs Kriminalromanen. Dann und wann sieht man den 53-jährigen Wahlostfriesen aus Gelsenkirchen mit Zopf und roten Hosenträgern an einem Tisch den nächsten Coup ausklamüsern. Wenn Leser nach der Horror-Lektüre beim einsamen Deichspaziergang ins Schwitzen kommen, könnte das auch Angstschweiß sein.
Heißes Pflaster: In seinen Romanen macht Peter Gerdes das Seehafenstädtchen Leer zum Schauplatz grausiger Geschehen.
Südlich der Küste im beschaulichen Seehafenstädtchen Leer besteigen Touristen ein Panoramaboot für eine „Kriminelle Hafenrundfahrt“. Eingeladen zu der Lesung mit Sightseeing und „Mord an Bord“ hat Peter Gerdes. Mehr als 17 Krimis hat der Lehrer und ehemalige Sportreporter bisher zu Papier gebracht. Auch dessen Fantasien bedienen sich aus einer scheinbar unerschöpflichen Schatztruhe lokaler Wirklichkeiten. Wie in „Ostfriesische Verhältnisse“ geht es ihm jedoch weniger um eine geografische als vielmehr um eine thematische und manchmal geschichtliche Verortung menschlicher Niedertrachten. Lokale Kennzeichen wie das alte Rathaus, die Waage oder die von maritimem Flair und niederländischem Frühbarock geprägte Altstadt sind nur willkommene Randschauplätze auf einer gesellschaftskritischen Themenskala von Naturschutz, religiösem Fanatismus bis zu zerstörerischem Profitstreben.
Am Rathaussteg heißt es jetzt Leinen los. Gemächlich schippert das Grachtenboot „Koralle“ durch den Leeraner Hafen. Gespannt folgen die Passagiere Gerdes knorrigem Ordnungshüter Stahnke von Fall zu Fall. Manch Feriengast mag sich da auf dem falschen Schiff wähnen, wenn das von friedlichen Kühen, kreischenden Möwen und bunten Strandkörben geprägte Ferienparadies plötzlich ins blutige Chaos stürzt. Wie schön, dass es dem Vorleser mit viel hintergründigem Witz dann doch wieder gelingt, seine Zuhörer nicht desillusioniert und mit Gänsehaut in die heile Urlaubswelt zu entlassen.
ReiseTravel Fact: Wer jetzt in die Altstadt spaziert, muss keine Angst vor meuchelnden Händen aus dem Hinterhalt zu haben. Spätestens im „Tatort Taraxacum“ in der Rathausstraße 23 wird er jedoch abermals mit den Abgründen der menschlichen Seele konfrontiert. Peter Gerdes und Frau Heike haben dort Ostfrieslands größte Krimibuchhandlung eingerichtet, in der kulinarische Lesungen und Konzerte stattfinden und in der Science-Fiction-Fan Gerdes an einem postapokalyptischen Roman arbeitet. „Urlaub vom Krimi“ nennt der Schriftsteller das „gewagte Projekt“, das Krieg, Krankheit und Anarchie in einem fernen Ostfriesland beschreibt. Wem das nicht auf den Magen schlägt, der lässt sich draußen im behaglichen Terrassencafé nieder. Dort heißen Vorspeisen „Erste Indizien“ und Hauptgerichte „Beweisaufnahme“. Auf Nachfrage wird vielleicht sogar eine Ostfriesland typische Blutsuppe oder Knüppeltorte serviert – klingt irgendwie auch barbarisch.
ReiseTravel Service
Auskünfte: www.ostfriesland.de - www.ostfrieslandkrimis.de / www.krimikueste.de.
Anreise: Bahn-Spartarif ab deutschen Bahnhöfen ab 14,25 Euro.
Norden-Norddeich: „Kriminelle Stadtrundgänge“. Krimi-Bustouren. Telefon: 04931-986200.
Leer: www.stadt-leer.de - www.tatort-taraxacum.de/veranstaltungen
Unterkunft: Norden: Romantikhotel Reichshof, ab 120 Euro/DZ. www.reichshof-norden.de Leer: Hotel-hafenspeicher, ab 129 Euro/DZ, www.hotel-hafenspeicher.de
Restauranttipp: Norden: In einer Seitengasse liegt das behagliche Stadthotel „Smutje“, www.stadthotelsmutje.de In Leer: Gehobene Küche im historischen Hafengasthaus „Zur Waage und Börse“, www.restaurant-zur-waage.de
Probieren: Leeraner Flachbraten: Vier Filetsteaks mit Bratkartoffeln, Kürbis und Bohnen. „Knüppeltorte“, süßes in einer Pfanne gebratenes Traditionsgebäck.
Neue Ostfriesenkrimis: „Ostfriesentod“ von Klaus-Peter Wolf, Fischer Verlag, 10,99 Euro. Als Hörbuch im Jumbo-Verlag, 20 Euro. „Friesisches Inferno“ von Peter Gerdes, Leda-Verlag, 12 Euro.
Musik: „Ostfriesen Blues“, CD mit Krimi-Liedern von Bettina Göschl und Komplizen, Jumbo-Verlag, 14,99 Euro.
Für Kinder: Abenteuerbuch „Die Nordseedetektive 4“ von Klaus-Peter Wolf und Bettina Göschl, Jumbo-Verlag, 8,99 Euro.
Reiseliteratur: „Ostfriesland“, Michael Müller Verlag, 15,90 Euro.
Ein Beitrag mit Fotos für ReiseTravel von Manfred Lädtke.
Unser Autor lebt und arbeitet in Karlsruhe.
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