Zaragoza | Die Karwoche |
Route der Trommeln und Pauken zur Karwoche in Zaragoza und Niederaragonien
Leiden mit Jesus: Die „Semana Santa“, die Karwoche, ist alljährlich der Höhepunkt der religiösen Feste in Spanien. In der Heiligen Woche von Palmsonntag bis Ostersonntag wird in Prozessionen der Leidensgeschichte Christi und seines Todes gedacht.
Die Spannung steigt, die Luft knistert förmlich, jeder wartet auf den Beginn der Prozession in Zaragoza. Weihrauchgeruch liegt in der Luft. Quietschend öffnet sich langsam die Türe der Kirche Santa Isabel. Büßer gekleidet in langen schwarz-lila Tuniken mit spitzen Hauben treten heraus. Es ist still, weder die Prozessionsteilnehmer noch die Zuschauer reden. Das Einzige, was man von den Büßern unter ihrer Kleidung sehen kann, sind ihre Augen, die man durch die schmalen Schlitze im dunklen Stoff erkennt. Augen, die ernst oder traurig blicken. Die Büßer haben ihr Gesicht mit Spitzhauben bedeckt, um anonym zu bleiben und um nicht abgelenkt zu werden in ihrer Erinnerung an das Leiden Christi.
Viele Menschen nutzen die Prozession um inne zu halten, über das vergangene Jahr nachzudenken und sich selbst wieder näher zu kommen.
Eine Dornenkrone wird auf einem Kissen getragen. Danach folgt ein Paso, eine mannshohe schwere antike, heilige Figur, die von zwölf Männern in schaukelnden Gang getragen wird. Trommeln werden dumpf und laut geschlagen und Kinder lassen dazu Ratschen rasseln. Nach einem wilden Trommelwirbel beten Zuschauer und Prozessionsteilnehmer gemeinsam in einer kurzen Andacht vor der Kirche. Dann setzt sich die Prozession wieder in Bewegung.
Manche Zuschauer sind so ergriffen, dass sie Tränen in den Augen haben. Die Prozession zieht mehrere Stunden durch Zaragossa und endet in der Kirche Santa Isabel. Hier werden die prunkvollen und wertvollen Pasos nach der Prozession aufbewahrt und bewacht. Chormusik erklingt dezent aus dem Hintergrund. An der Statue des liegenden Christus bildet sich eine Schlange von Menschen, die seine Füße küssen oder sie zumindest mit der Hand berühren.
Schon seit etwa 500 Jahren finden in Spanien in der Karwoche Prozessionen statt.
Es gibt 24 „cofradias“ oder Bruderschaften in Zaragoza. Sie sind eine Art Verein in der auch Frauen und Kinder zugelassen sind. Jede Bruderschaft hat ihre eigene Prozession in der Karwoche, Ostersonntag pilgern sie alle gemeinsam zu Ehren der Auferstehung Jesus durch Zaragoza und bringen ihre Freude darüber zum Ausdruck. In der Karwoche feiern Familien mit ihren Freunden die Auferstehung Jesu von den Toten bei gutem Essen. Alle Familienmitglieder kommen zusammen, gehen zu den Prozessionen und zur Andacht.
Ein besonderes Ereignis ist die Prozession der schwarz gekleideten Frauen, der cofradia Congregación de Esclavas de María Santísima de los Dolores. Die schönen Spanierinnen sehen mit ihren schwarzen Mantillen aus spinnenwebfeinen Spitzen sehr beeindruckend aus, wobei die hohen Schildpattkämme im dunklen Haar ihre Anmut unterstreichen.
Das Brechen der Uhr oder das Zerschlagen der Stunde
In Niederaragonien gibt es neun Orte an der „Ruta del Tambor y Bombo“, der Trommel- und Paukenroute, in der die Menschen die Karwoche ganz anderes zelebrieren. „Rompida de la hora“, das „Brechen der Uhr“ oder das „Zerschlagen der Stunde“ wird von mehreren tausend Trommeln und Pauken verursacht. Es ist ein ohrenbetäubender Lärm, er soll an den Donner, der nach dem Tod von Jesus Christus ertönte, symbolisieren.
Híjar: Die Uhr wird im Ort Híjar am Gründonnerstag um Mitternacht gebrochen. Der Platz vor dem Marktplatz füllt sich langsam. Freunde und Familien formieren sich um ihre großen Trommeln, die zumeist seit Generationen im Familienbesitz sind. Jeder trägt eine schwarze Kutte ohne Kopfbedeckung, wer keine Kutte trägt, darf nicht trommeln. Der Bürgermeister kämpft sich kurz vor zwölf Uhr in die Mitte des Platzes. Er hebt sein Zepter und auf sein Zeichen ertönen alle Trommeln wie ein Donnerschlag. Nach etwa einer Stunde verlassen die Gruppen den Marktplatz und ziehen trommelnd durch die Straßen. Es ist eine Nacht in der in Hijar keiner schläft. Manche trommeln die ganze Nacht durch und einige sogar auch noch am nächsten Tag.
Calanda: Karfreitagmittag gibt nicht genug Platz für die mehr als 3000 Trommler auf dem Marktplatz von Calanda, sie müssen auch noch in die angrenzenden Straßen ausweichen. Die Trommler tragen keine Kapuze, sie wollen ihr Leid zeigen. Viele schauen nervös auf die Armbanduhr und zählen die letzten Minuten bis zum Brechen der Stunde. Alle Fenster und Balkone sind belagert von Zuschauern. Regenwolken ziehen auf und verziehen sich wie durch ein Wunder wieder. Es wird immer leiser auf dem Platz, bis es vollkommen still wird. Um Punkt zwölf gibt der Bürgermeister ein Zeichen und alle setzen mit einem ersten Trommel- und Paukenschlag zu ohrenbetäubendem Lärm an. Die Trommler spielen in sich gekehrt, sie ignorieren die Zuschauer, die Fotografen und das spanische Fernsehen. Sie schlagen zwei Stunden lang im gleichen Rhythmus. Einige spielen so kraftvoll, dass ihre Hände bluten. Der fast metallische Klang ist schmerzhaft laut und die Vibrationen sind im Boden zu spüren. Es wird immer lauter, bis der Bürgermeister zwei Trommelstöcke hebt und sofort hören alle auf zu spielen. Es ist absolut ruhig, bis langsam die ersten Gespräche wieder anfangen. In Calanda wurde der weltbekannte Filmregisseur Louis Buñuel geboren. Er hat in seinem Buch „Mein letzter Seufzer“ das Trommeln in Calanda beschrieben: „Getrommelt wird auch in Alcañiz und in Híjar. Nirgends aber geschieht es mit einer so geheimnisvollen und unwiderstehlichen Kraft wie in Calanda.“ Louis Buñuel kam immer, wenn er konnte, zum Karfreitagnachmittag zur „Rompida de la hora“.
Das Wunder von Calanda: Ein Mann in Calanda hatte im Jahre 1640 einen Unfall, bei dem das Rad einer Kutsche über sein Bein fuhr. Er bekam eine Blutvergiftung und sein Bein musste amputiert werden. Da er ein gläubiger Mann war, ging er jeden Tag in die Kirche. In einer Nacht erschien ihm im Traum die Jungfrau Maria und brachte ihm sein Bein zurück. As er morgens aufstand hatte er wieder zwei Beine, an dem neuen Bein war sogar die Narbe zu sehen, die er als Kind von einem Hundebiss erhalten hatte. Nach dem Wunder wurde in Calanda die Tradition des Trommelns wieder aufgenommen. Das Wunder sprach sich herum, König Philippe kam nach Calanda um das wiedererhaltene Bein zu küssen.
Alcorisa: Im leuchtenden Blau erstrahlen die Tuniken der Büsser in Alcorisa. Die lange Kopfbedeckung mit Querfalten lässt das Gesicht frei. In Zweierreihen gehen die Büßer durch die Straßen und lassen sich auch von dem einsetzenden Regen nicht erschüttern. Sie gehen zum Kalvarienberg, dort wird das Kreuzdrama von mehr als 500 Darstellern aus dem Dorf aufgeführt. Die Aufführung findet vor der natürlichen Bergkulisse mit Kiefern, Oliven- und Mandelbäumen statt.
El Pueblo de Híjar: Im Pueblo de Híjar geht jeder trommelnd von seiner Wohnung zum Marktplatz. Aus allen Ecken tauchen Trommler auf und der Lärm steigert sich. Der Marktplatz wird zu klein. Alle Trommler geben ihr Bestes und steigern sich mit immenser Kraft. Der Bürgermeister gibt ein Zeichen und alle hören mit einem Schlag auf. Eine plötzliche Stille tritt ein. Die „Rompida de Silencio“ ist das laute Trommeln bis zur Stille und diese Stille ist zu fühlen und beendet damit die Karwoche.
ReiseTravel Fact: Die La Semana Santa in Zaragoza und Niederaragonien beeindruckt mit ihren Prozessionen und dem Brechen der Stunde. Es ist auch gleichzeitig eine Zeit zum Innehalten. Dabei kommen natürlich die Köstlichkeiten der spanischen Küche nicht zu kurz. Eine Tapas-Tour gehört auf jeden Fall dazu.
Info: www.spain.info/de/ - www.turismodearagon.com
Ein Beitrag mit Fotos für ReiseTravel von Gabi Dräger.
Unsere Autorin Gabi Dräger zeichnet bei ReiseTravel verantwortlich für die Redaktion Hotels & Restaurants. Ihr Thema sind die Berge. Sie lebt und arbeitet in München. gabi@reisetravel.eu
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