Höhr-Grenzhausen | Herausforderung: Verkehrssicherheit! |
Wer viel mit dem Auto unterwegs ist, hat oft Dringendes während der Fahrt zu erledigen. Denn die Zeit dazwischen wird immer knapper. Und da verlocken mobile Endgeräte wie Smartphones und sie bergen Gefahren.
DVR-Presseseminar: Wie man es schon am eigenen Leib erfahren hat. Ein Anruf aus der Redaktion für den nächsten Termin und man nimmt ab. Ist das die schöne neue Welt von Mobilität von der wir schwärmen?.
Dieser Frage ging der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) bei einem Presseseminar im Westerwald nach und beleuchtete dabei die Herausforderungen für die Verkehrssicherheit. Man brachte etwas Licht ins Dunkel.
Kompetente Referenten aus Wissenschaft und Praxis setzten sich mit dem Thema auseinander, sie beschäftigten sich vor allem mit den Veränderungen, die sich aus der Moderne ergeben. Und so wollte Professor Dr. Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin wissen, ob wir uns vom Straßenverkehr wie wir ihn kannten verabschieden müssen. Meinte Ja. Denn das private Auto sei lange Zeit Sehnsuchtssymbol und Teilgarant für ein glückliches Leben gewesen. Doch diese effektive Bindung verliere vor allem in der Stadt zunehmend Kraft. Dort sei klar geworden: Die Grenzen des fossilen Automobilismus sind erreicht. Es gibt zu viele Autos. Zukunftsfähig wären nur solche Verkehrsangebote, die auch unter der Ressourcenknappheit individuell Sinn machen. Autos nutzen statt besitzen werde in Verbindung mit digitalen Plattformen gerade in Ballungszentren an Popularität gewinnen, „Mobilitätsdienstleistungen kommen aus der Nische, können dank Informationen in Echtzeit flexibel und zugleich routinemäßig genutzt werden“, so der Professor.
Redaktionsleiter Sven Rademacher moderierte das Presseseminar
Auf die psychologischen Auswirkungen der Informationsflut ging Dr. Gudrun Gericke ein, die an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena lehrt. Ihr Fazit: „Wichtig ist, dass sich die Mobilität an die menschlichen Bedürfnisse orientiert und der Mensch sich nicht nur auf technische Fähigkeiten verlässt“. Sie bezeichnet Assistenzsysteme zwar als hilfreich, dennoch seien sie auch oft Auslöser für riskanteres Fahren. Permanentes Feedback sei da wichtig. Nicht ablenken lassen heiße die Devise für eine sichere Mobilität, weil sich dadurch die Zahl der Unfälle senken lasse. Daher sollten zu umfangreiche Bedienungsanleitungen zu Info-und Steuerungsdisplays „entschlackt“ werden. Die Staubilanz für 2017 auf Deutschlands Autobahnen nannte sie erschreckend: Knapp 1,5 Millionen Staukilometer und 457.000 Staustunden. Hier stoße die Mobilität an ihre Grenzen. Eine immer höher werdende Verkehrsdichte fordere mehr Information, „Navigationsgeräte weisen uns da nicht nur den Weg, zwingen uns aber auch zu konstanter Konzentration“. Es müssen „handfeste“ Lösungen für die ergonomische Gestaltung von Mobilität gefunden werden“, forderte Gerike. „Wie soll man gleichzeitig die vorwiegend visuellen Informationen während des Verkehrs verarbeiten und Touch-Displays am Armaturenbrett bedienen, die einer zwingenden Blickzuwendung bedürfen“, stellte sie in den Raum. Um tatsächlich Fortschritte in der Entwicklung der Mobilitätssysteme zu machen, „müssen wir uns der menschliche Phänomene als Ausgangspunkt von Technikentwicklung stellen“.
Haben wir alles im Griff, fragte sich Dr. Sebastian Pannasch und nahm den Einfluss fahrfremder Tätigkeiten unter die Lupe. Und kam zu der Ansicht, offensichtlich nicht, wenn man die Stufen der Automatisierung von früher bis heute betrachtet: Vom Fahren ohne jede zusätzliche Hilfe bis zum fahrererlosen Vorwärtsbewegen. Wo der Mensch nur nach dasitzt, ohne lenken zu müssen. Es seien Ironien der Automatisierung, dass man sich zwischen Unterforderung und Überforderung bewegt. Hochautomotorisiertes Fahren gestatte es, währenddessen andere Aufgaben zu erledigen, es bleibt aber die Anforderung, in bestimmten Situationen die Kontrolle zu übernehmen und adäquat zu reagieren. Daraus resultiert eine psychische Belastung, die im Widerspruch zur Belastung steht. Beim Multitasking habe sich vielfach gezeigt, wie das Risiko von Fehlern steigt. Aus arbeitspsychologischer Sicht sollten Systeme die Bediener stets optimal beim Erreichen ihrer Ziele unterstützen, Multitasking stehe da im Widerspruch. Der Professor an der Technischen Universität Dresden hat dazu eine klare Meinung: „Wenn es um Automatisierung geht, muss immer der Nutzer und Bediener angemessen berücksichtigt werden. Das heißt, Mensch und Technik müssen kooperativ zusammen arbeiten. Mein Wunsch wäre, dass das in der Praxis auch umgesetzt wird“.
In die Sicherheit von Fahrerarbeitsplätzen im digitalen Zeitalter stieg Benno Gross vom IFA-Institut für Arbeitsrecht der Gesetzlichen Unfallversicherung ein. Er sieht hier neue Herausforderungen für die Gestaltung sicherer und gesunder Arbeit, für die Führung sowie eigenverantwortliches Handeln der Beschäftigten. Besonders dann, wenn mobile Endgeräte beim Fahren als Informations-und Kommunikationssysteme genutzt werden. Denn neben nützlichen fahrspezifischen Funktionen, die Komfort, Fahreffizienz oder Sicherheit erhöhen können, nimmt in bestimmten Branchen der Bedarf, während der Fahrt Anrufe zu tätigen oder Arbeitsaufträge zu bestätigen, stetig zu. So kommen etwa Taxi- oder LKW-Fahrer längst nicht mehr ohne mobile Endgeräte für den Austausch von Informationen zwischen Disponenten, Fahrenden und Kunden aus. Es werden unabhängige Aufgabenbereiche immer stärker durchmischt: Die Fahraufgabe und die Aufnahme zusätzlicher Informationen. Gefahrenpotenziale ließen sich bereits mit einer fachgerechten Integration des mobilen Endgeräts minimieren. Es sei unbedingt empfehlenswert, das Gerät im Greifraum anzubringen oder noch besser für eine entsprechende softwaretechnische Integration in Fahrzeugsysteme zu sorgen, sodass sie über das Fahrzeugdisplay genutzt werden können. Gross rät davon ab, kostengünstige Saugnapf- oder Klemmhalterungen zu verwenden. Die Ablenkung durch längere Eingabeprozesse werde von Nutzern häufig unterschätzt, warnte der Insider, Studien würden belegen, dass „Texting while Driving“ zu massiven Ablenkungseffekten oder auch ein Telefongespräch zu längerer Reaktionszeit führt, die in kritischen Verkehrssituationen nachteilig sind. Generell sollte die Nutzung während der Fahrt deshalb in ihrer Dauer kurz, selten, jederzeit unterbrechbar sein und keine Eingaben erzwingen. Die eigene Sicherheit und die der Verkehrsteilnehmer müsse immer Vorrang gegenüber eingehenden Anrufen, Navigationseingaben oder Push-Nachrichten haben.
Das Ziel: Eine entspannte, effiziente und sichere Fahrweise, die von Navigationshinweisen, Verkehrsinformationen oder auch beruflich notwendigen Informationen unterstützt wird.
Einen Fahrplan für die Zukunft des automatisierten und vernetzten Fahrens stellte Dr. Ingenieur Horst Wieker auf. Der Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes sagte, das Fahrzeug der Zukunft werde Vernetzung und Automatisierung vereinen müssen. Bisher realisiertes automatisiertes Fahren funktioniere nur, wenn die Umwelt mitgestaltet werde. So stehe für automatisierte Fahrzeuge häufig eine eigene Spur oder gar ein abgesperrter Bereich zur Verfügung. Oder es wird in besonders regenarmen Gebieten mit guten Straßen getestet. Realer Verkehr sehe aber differenzierter aus. Zudem betonter er: „90 Prozent aller Verkehrsunfälle gehen auf menschliches Fehlverhalten zurück“. Gründe dafür seien nicht erkannte Gefahren und falsch eingeschätzte Situationen. So bremsen etwa 40 Prozent der Fahrer unzureichend, man müsse zwischen taktischen und strategischen Fahren entscheiden. Wegen der Assistenzsysteme glaube man, mit hochautomatisierten Fahrzeugen die Unfallzahlen deutlich reduzieren zu können. „Sie informieren, warnen, unterstützen und greifen ein, aber die Autos fahren eben nicht alleine“. Die Herausforderung ist, die intuitive Situationswahrnehmung des Menschen in ein Fahrzeug in den Griff zu kriegen, „Abstand ist nicht alles“. Oft sei gar nicht klar, welche Parameter ein Fahrzeug braucht, die robuste und zuverlässige Situationserfassung und das richtige Szenenverständnis spielen daher eine entscheidende Rolle. „Der Mensch bleibt mit seinem persönlichen Tun immer noch der wichtigste Faktor“.
Für Dr. Thomas Wagner stellt sich bei dem von der Automobilindustrie angestrebten raschen Wandel zum automatisierten Fahren die Frage, wie sich die Anforderungen an den Fahrer als Nutzer von automatisierten Systemen verändern. Es werde derzeit diskutiert, was neu in der geistigen, körperlichen und charakterlichen Eignung angedacht werden müsse. Mit Blick auf die bislang geltenden Fahrverhaltensmodelle werden „neue“ Eignungsanforderungen an Bedeutung gewinnen. Aber auch spezifische Problem, die den Fahrer vom aktiven Operateur zum Überwacher eines automatisierten Systems machen, mehr ins Bewusstsein rücken. Wagner: „Es gibt eklatante Regulierungslücken in unserem Fahrerlaubnisrecht. Wir brauchen Forschungsergebnisse, um die Kraftfahreignung zu erweitern“. Und er schloss mit einer unpopulären These, „die Risiken durch das automatisierte Fahren werden steigen statt sinken“.
In eigener Sache nahm Ute Hammer vom DRV Stellung. Ihr liegt am Herzen, dass das DVR-Motto „Vision Zero – keiner kommt um, alle kommen an“ ein Erfolg wird. Man habe aktuell 10 Top-Forderungen zur Verkehrssicherhit aufgestellt, deren Umsetzung vorrangig durch Politik und Industrie dringend erforderlich sei. Sie würden die größte Effizienz bei der Reduzierung der Getöteten und Schwerverletzten im Straßenverkehr versprechen. „Denn Menschen machen Fehler und ihre Belastbarkeit ist begrenzt, das Leben ist nicht verhandelbar und alle haben ein Recht auf ein sicheres Verkehrssystem“. Die Umsetzung der Forderungen sei jedoch schwierig, verschwieg Hammer nicht, finanzielle und personelle Ressourcen spielen da mit hinein. Und so manche fachliche Debatte werde erschwert durch unterschiedliche Weltanschauung, wem „die Straße gehört“. Nicht alles, zu dem die Vision Zero auffordert, sei politisch gewollt.
Redaktionsleiter Sven Rademacher, der das Seminar moderierte, brachte es im Fazit auf den Punkt: „Wir sind nicht Multitasking fähig, das ist und bleibt ein Mythos. Deshalb kommt es darauf an, dass sich die Technik an menschliche Bedürfnissen, Prozessen und auch Defiziten orientieren muss. Es ist kein Fortschritt, wenn aus nicht durchdachten Lösungen neue Probleme erwachsen“.
Ein Beitrag mit Foto für ReiseTravel von Horst Wunner.
Unser Autor arbeitet als Journalist und lebt in Altenplos in Bayern.
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