Dipperz Rhön

Ältere Fahrer eine Problemgruppe oder sind die jungen Fahrer noch zu retten

Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) wurde 1969 gegründet: Als unabhängiger Vorreiter und Kompetenzträger ist der DVR in allen Belangen der Straßenverkehrssicherheit tätig: „Im Sinne der „Vision Zero – keiner kommt um, alle kommen an“ müssen weitere Schritte erfolgen, die Anzahl der im Straßenverkehr Verunglückten zu reduzieren“, lautet die Devise.

Im Jahr 2012 kamen nach Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes 3.606 Menschen auf deutschen Straßen ums Leben. Das waren 403 Getötete oder 10,1 Prozent weniger als im Jahr 2011. Damit ist die Zahl der Todesopfer im Jahr 2012 noch stärker als erwartet gesunken und liegt sogar unter dem bisher niedrigsten Wert von 3.648 Getöteten im Jahr 2010.

Aufgabe des DVR ist die Förderung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer. Schwerpunkte sind Fragen des menschlichen Verhaltens, der Fahrzeugtechnik, der Infrastruktur und der Verkehrsmedizin.

Zum Thema „Jung und Alt am Steuer“ fand in Dipperz Fulda in der Rhön ein hochkarätiges Seminar statt.

Prof. Dr. Wolfgang Fastenmeier, Psychologische Hochschule Berlin, befasste sich mit der Frage „Ältere Fahrer – ein Problemgruppe: Die wachsende Zahl von Senioren im Verkehr, insbesondere als Autofahrer, wird zunehmend als Problem erkannt. Es wachsen Jahrgänge nach, die mit dem Auto groß geworden und ihr ganzes Leben die Vorteile selbstständiger Pkw-Nutzung gewöhnt sind. Im Vergleich zu anderen Altersgruppen ist die Entwicklung der Verkehrsunfallzahlen in den letzten 20 Jahren allerdings ungünstig verlaufen, nicht nur bei älteren Pkw-Insassen, sondern auch insbesondere bei älteren Radfahrern. Als Pkw-Lenker sind sie als Gruppe allerdings nicht häufiger als der Durchschnitt der Autofahrer an Unfällen beteiligt und ihre Unfallrate ist wesentlich geringer als die der jungen Fahrer. Dennoch weisen ältere Fahrer auf individueller Ebene – neben dem allgemeinen, altersbedingten Abbau körperlicher und psychischer Leistungsfähigkeit – nachweislich eine Reihe von z. T. schwerwiegenden Defiziten im sicheren Fahrverhalten auf. So lassen sich in Fahrverhaltensbeobachtungen meist ähnliche und typische Verhaltensmuster autofahrender Senioren finden. Dabei handelt es sich in der Regel um Fehler in komplexen Verkehrssituationen wie z. B. Kreuzungen. Typische Fehler sind mangelndes Sichern beim Abbiegen, insbesondere gegenüber Fußgängern und Radfahrern, Vorfahrtsmissachtungen und Spurfehler. Solche zweifellos vorhandenen individuellen Auffälligkeiten älterer Fahrer rechtfertigen allerdings nicht den Ruf nach altersbezogenen Pflichtuntersuchungen, denn es gibt keine seriösen wissenschaftlichen Indikatoren dafür, individuelles Unfallrisiko vorhersagen zu können.

Dr. Sebastian Poschadel, Prospektiv GmbH Gesellschaft für betriebliche Zukunftsgestaltungen, Dortmund, stellte seine neue Studie vor: Mithilfe eines Kontrollgruppendesigns konnte gezeigt werden, dass die individuelle Fahrkompetenz (i. S. der Performanz) über 70-jähriger Autofahrer im Realverkehr durch ein professionelles 15-stündiges Fahrtraining schwieriger Fahraufgaben über zufällig und nachhaltig erhöht werden kann. Durch das Training erreichten die älteren Fahrer das Leistungsniveau, das untrainierte Autofahrerinnen und -fahrer mittleren Alters (40 bis 50 Jahre alt, Referenzgruppe) auf der Referenzstrecke zeigten.

Die Kontrollgruppe („Feedbackgruppe“), die ebenso wie die Trainingsgruppe nach jeder der 4 Testfahrten ein individuelles Feedback zur Fahrt erhalten hatte, konnte die Fahrkompetenz durch diese Intervention (auch ohne explizites weiteres Training) ebenfalls deutlich und zeitlich stabil verbessern. Allerdings reichte ein Feedback für schwächere Fahrer allein nicht aus, die Leistungen der Referenzgruppe von Autofahrern mittleren Alters zu erreichen. Die verbesserte Fahrkompetenz ist auch zwölf Monate nach dem Training in beiden Gruppen noch stabil.

Subgruppenanalysen zeigen, dass schwächere Fahrer und Fahrerinnen von einem Fahrtraining im Realverkehr am allermeisten profitieren: Sie konnten sich durch das Training am stärksten verbessern. Trotz schwacher Ausgangswerte konnten auch sie das Niveau der Referenzgruppe (40 bis 50 Jahre) erreichen bzw. sogar übertreffen. Insgesamt war das Leistungsniveau der Stichprobe allerdings bereits vor dem Training gut (Selektionseffekt).

An der Studie nahmen insgesamt 92 ältere Fahrerinnen und Fahrer teil, daneben 26 Fahrerinnen und Fahrer der Altersgruppe 40 bis 50 Jahre als Vergleichsgruppe. Die Referenzstrecke (Teststrecke) enthielt polizeilich erfasste Unfallschwerpunkte älterer Fahrer (Unfalldatenanalyse) und war insofern auch objektiv anspruchsvoll.

Die Untersuchungsergebnisse weisen darauf hin, dass es möglich ist, die Fahrkompetenz auch noch im höheren Alter zu verbessern und nachhaltig zu verlängern. Flächendeckende Trainingsangebote müssten differenziert nach aktuellem Leistungsstand der Fahrer angeboten werden, da erhebliche Leistungsunterschiede bei der Fahrkompetenz Älterer bei gleichem kalendarischen Alter vorliegen. Darüber hinaus belegen sie einmal mehr, dass Menschen auch im höheren Alter noch lernen können, und entsprechen so dem Konzept des „lebenslangen Lernens“.

Das Forschungsvorhaben wurde in den Jahren 2008 bis 2012 am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund unter der Leitung von Dr. Sebastian Poschadel durchgeführt und von der Eugen-Otto-Butz-Stiftung gefördert.

Möglichkeiten zur Reduzierung der Unfallrisiken älterer Autofahrer durch intelligente Fahrzeugtechnik, Was kann die Technik – was nicht? Stellte Prof. Dr.-Ing. habil. Klaus O. Rompe, fsd Fahrzeugsystemdaten GmbH, Dresden vor.

Senioren (65 Jahre und älter) verursachen je Fahrerlaubnis als Maß für die Möglichkeit der aktiven Verkehrsteilnahme jährlich weniger Pkw-Unfälle mit Personenschaden als jede andere Altersgruppe. Die Erhaltung der Mobilität der Senioren ist ein wichtiger Teil ihrer Lebensqualität und sie erspart der Gesellschaft Kosten. Befähigung statt Aussonderung muss deshalb das Ziel sein. Die intelligente Fahrzeugtechnik kann dazu einen wesentlichen Beitrag leisten.

Detaillierte Auswertungen der Fahr- und Unfallerhebungen zeigen wesentliche Unterschiede der Senioren im Vergleich mit den Risiken der übrigen Altersgruppen, die bei der Betrachtung des Nutzens intelligenter Fahrzeugtechnik für Senioren zu beachten sind. Ältere Menschen nutzen das Auto zunehmend seltener. Geringere Fahrleistungen führen, wie bei allen Altersgruppen, zu höheren Unfallraten je Kilometer. Senioren fahren seltener bei ungünstigen Witterungsbedingungen wie Dunkelheit oder Winterglätte. Senioren erbringen einen erhöhten Anteil ihrer Fahrleistung im städtischen Bereich und sind deshalb als Verursacher von Unfällen mit Personenschaden auch häufiger an den dort vorherrschenden Unfallarten, z. B. Kreuzungsunfällen, beteiligt. Die schwersten Seniorenunfälle sind die Unfallarten Abkommen von der Fahrbahn und Zusammenstoß mit einem entgegenkommenden Fahrzeug. Generell sind die Kollisionsschwere und damit das Unfallrisiko der Kollisions-Partner bei von Senioren verursachten Pkw-Unfällen, wohl infolge einer langsameren Fahrweise, geringer. Gleichzeit nimmt jedoch trotz abnehmender Kollisionsschwere bei diesen Unfällen ihr eigenes Risiko und das ihrer Mitfahrer - meist auch Senioren – aufgrund ihrer höheren Verletzlichkeit stark zu.

Dr. Hardy Holte, Bundesanstalt für Straßenwesen referierte zum Thema: „So wie man lebt, so fährt man“ und führte aus: Die amtliche Unfallstatistik weist für die Gesamtgruppe der jungen Fahrerinnen und Fahrer ein überdurchschnittlich hohes Verkehrsunfallrisiko aus. Nationale und internationale Studien aus den neunziger Jahren belegen, dass innerhalb dieser Gruppe beträchtliche Unterschiede im Hinblick auf eine Gefährdung im Straßenverkehr bestehen und diese sehr stark mit dem Lebensstil junger Menschen verknüpft sind. Bereits Ende der vierziger Jahre gelangten die beiden Unfallforscher William Tillmann und George Hobbs durch ihre Studie zu der Überzeugung, dass "Menschen fahren wie sie leben". Personen, die sich in ihrem Alltag durch Toleranz und Rücksicht auszeichnen, so die Autoren, werden diese Eigenschaften auch beim Autofahren zum Ausdruck bringen und sind weniger unfallgefährdet als intolerante und rücksichtslose Menschen.

Eine aktuelle Repräsentativbefragung der Bundesanstalt für Straßenwesen bestätigt zum einen frühere Ergebnisse, zum anderen liefert sie neue Befunde über die lebensstiltypische Ausprägung verschiedener verkehrssicherheitsrelevanter Erwartungen und Einstellungen sowie des Temperaments der Befragten. Eine Clusteranalyse ergab sechs Lebensstilgruppen, die sich im Hinblick auf verkehrsbezogene, soziodemografische und psychologische Merkmale unterscheiden. Neu identifiziert wurde der "autozentrierte Typ", der mit einem Anteil von 10 % an der Gesamtgruppe der jungen Fahrerinnen und Fahrer vertreten ist. Diese Lebensstilgruppe hat sowohl den mit Abstand höchsten Anteil an Unfallbeteiligten (39 %) als auch den deutlich höchsten Anteil an Personen mit mindestens einem Punkt im Verkehrszentralregister (27 %).

Durch die Ergebnisse dieser Studie lässt sich sehr detailliert benennen, welche Erwartungen das Fahrverhalten von Personen der verschiedenen Lebensstilgruppe steuern, ob es vorwiegend Männer oder Frauen sind, welcher Altersgruppe sie am häufigsten angehören, welche Schulbildung sie mit größerer Wahrscheinlichkeit besitzen, mit welchem Temperament sie ausgestattet sind usw. Damit bieten diese Ergebnisse eine breite empirische Grundlage für die zukünftige Planung und Umsetzung von Verkehrssicherheitsmaßnahmen für die Zielgruppe der 17- bis 24-Jährigen. Insbesondere der autozentrierte Typ sollte im Fokus der Verkehrssicherheitsarbeit stehen. Umfangreiche Kenntnisse über verhaltensrelevante Merkmale dieser Zielgruppe ermöglichen einen maßgeschneiderten Zuschnitt von Verkehrssicherheitsbotschaften und verbessern somit die die Erfolgsaussichten von personaler und massenmedialer Risikokommunikation.

Ariane von Below, Bundesanstalt für Straßenwesen, stellte die Studie SARTRE - „Social Attitudes to Road Traffic Risk in Europe“ (dt.: Soziale Einstellungen zum Straßenverkehrsrisiko in Europa) und steht für eine europaweite Studie über Mobilität, Risikowahrnehmung, Einstellungen, Verhaltensweisen und Erfahrungen auf europäischen Straßen, vor.

Mit SARTRE 4 wurde die Studie seit 1991 zum vierten Mal durchgeführt. Während sich die vorherigen Auflagen der Studie vorrangig mit Autofahrern und -fahrerinnen beschäftigten, wurden in der SARTRE 4-Studie Autofahrer und -fahrerinnen, Fahrer und Fahrerinnen motorisierter Zweiräder und sonstige Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger, Fahrradfahrer und -fahrerinnen und Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel in die Betrachtung einbezogen. Insgesamt nahmen 21.280 Personen aus 19 Ländern an persönlich-mündlichen Befragungen teil.

Es bestehen deutliche Unterschiede im durchschnittlichen Alter und in der Verteilung der Altersgruppen sowohl über die verschiedenen Länder als auch im Vergleich der Verkehrsteilnehmergruppen. Die in Deutschland befragten Verkehrsteilnehmer haben beispielsweise mit 47,6 Jahren das höchste Durchschnittsalter gefolgt von Belgien mit 46,1 Jahren und Finnland mit 45,8 Jahren. Im Durchschnitt aller teilnehmenden Länder haben die befragten Motorradfahrerinnen und -fahrer das geringste Alter, die Nutzer sonstiger Verkehrsmittel das höchste Durchschnittsalter.

Altersunterschiede finden sich bei vielen Fragestellungen. So bewegen sich ältere Verkehrsteilnehmer erwartungsgemäß seltener und weniger im Straßenverkehr als jüngere. Ältere Personen nutzen vorwiegend aus gesundheitlichen Gründen und als Mittel zur körperlichen Betätigung andere Verkehrsmittel als das Auto oder Motorrad, während jüngere Befragte eher finanzielle Gründe aber auch die Schonung der Umwelt als Grund hierfür angeben. Wenig altersspezifische Unterschiede lassen sich für die Wahrnehmung der Verkehrssicherheit im eigenen Land feststellen. Anders sieht es allerdings zum Beispiel bei der Einstellung gegenüber Geschwindigkeitsübertretungen mit dem Auto und gegenüber der sicheren Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss als Fußgänger und Fahrradfahrer aus. In beiden Fällen zeigen jüngere Verkehrsteilnehmer auf eine auf höheres Risiko bezogene Einstellung als ältere. Auch riskantere Verhaltensweisen und Unfälle innerhalb der letzten drei Jahre werden häufiger von den jüngeren Befragten angegeben als von Personen über 65 Jahren. www.attitudes-roadsafety.eu

ReiseTravel Fact: Das DVR-Seminar „Jung und Alt am Steuer“ in Dipperz war ein Erfolg, für die interessierten Zuhörer und den Endverbraucher. Die Ergebnisse können politische Entscheidungsträger bei der Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen unterstützen, mit denen die Sicherheit für die Bürger in Europa verbessert werden kann. Es hilft und nützt uns allen.

DVR – Deutscher Verkehrssicherheitsrat, Auguststraße 29, D-53229 Bonn, www.dvr.de

Von Gerald H. Ueberscher.

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