Kastellaun

Vision Zero gilt auch für alle ungeschützte Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger und Radler

Fußgänger und Radfahrer: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ereigneten sich im vergangenen Jahr 2,4 Millionen Verkehrsunfälle auf deutschen Straßen. 2013 war damit das unfallreichste Jahr seit der Wiedervereinigung Deutschlands. Warum sind Kinder im Straßenverkehr so sehr gefährdet und woran liegt es, dass die Gefährdung bei älteren Radfahrerinnen und Radfahrern zugenommen hat, welchen Beitrag können Notbremsassistenzsysteme zur Verhinderung von Fußgängerunfällen leisten?

Diesen Fragen widmete sich das Seminar „Ungeschützte Verkehrsteilnehmer“ vom DVR Deutscher Verkehrssicherheitsrat im Burgstadt Hotel in Kastellaun.

Ute Hammer, Geschäftsführerin Deutscher Verkehrssicherheitsrat www.dvr.de , betonte: „Im Oktober 2007 hat der Vorstand des Deutschen Verkehrssicherheitsrates beschlossen, die internationale Sicherheitsstrategie Vision Zero zur Grundlage seiner zukünftigen Verkehrssicherheitsarbeit zu machen. Vision Zero wird leider oft missverstanden: Viele setzen diesen Begriff gleich mit einer Vision oder dem Wunsch, es möge keine schweren Verkehrsunfälle mehr geben. Das hat jedoch keinen Neuwert. Dem Satz "Jeder Verkehrstote ist ein Toter zuviel" kann sich jeder anschließen. Die Idee der Vision Zero impliziert jedoch, die Verkehrswelt mit ganz anderen Augen zu betrachten, so wie einen Arbeitsplatz, der sicher gestaltet sein muss. Sich zur Vision Zero zu bekennen bedeutet nicht, dass am nächsten Tag alles "Vision Zero ist". Es ist ein Prozess, der die gesamte Verkehrssicherheitsarbeit des DVR betrifft.

Marie Antonie Kerwien, OECD Berlin Centre www.oecd.org führte aus: „Fast 1,3 Millionen Menschen sterben jedes Jahr weltweit bei Verkehrsunfällen, zwischen 20 und 50 Millionen erleiden erhebliche Verletzungen. 90 Prozent der tödlichen Verkehrsunfälle passieren in Schwellenländern. Die massive Motorisierung in diesen Ländern wird die Opferzahlen weiter nach oben treiben, denn weder sind die Straßen hier auf Autokolonnen ausgelegt noch sind die Bewohner auf sie vorbereitet“.

Einige Industriestaaten haben inzwischen derart wenige Verkehrstote, dass sie für die kommenden Jahre als offizielles Politikziel eine “Vision Zero” festgeschrieben haben, das heißt null Tote oder Schwerverletzte im Straßenverkehr. In den 29 Ländern, die in der International Road Traffic and Accident Database (IRTAD) erfasst sind, ist die Zahl der Verkehrstoten unter Autofahrern und Beifahrern im Zeitraum 2000 -2012 um die Hälfte zurückgegangen.

Ungeschützte Verkehrsteilnehmer ReiseTravel.eu

Die Verkehrspolitik hat zwei Optionen: Entweder sie sorgt dafür, dass ungeschützte Verkehrsteilnehmer sicherer unterwegs sind. Oder sie macht den Verkehr als solchen sicherer für alle Teilnehmer. Am erfolgversprechendsten ist es, potenzielle Konflikte zwischen verschiedenen Verkehrsteilnehmern so gut wie möglich zu vermeiden. Das gelingt, wo der Straßenraum für die vorgesehene Nutzung individuell gestaltet wird, idealerweise durch eine Trennung der Verkehrswege für verschieden schnelle und schwere Teilnehmer. Die gefährlichsten Verletzungen resultieren aus Unterschieden in der Geschwindigkeit und der Masse der Verkehrsteilnehmer. Wo eine Verkehrstrennung nicht möglich ist, bietet ein konsequent angewandtes Geschwindigkeits Management eine wirksame “unsichtbare Infrastruktur”. Sie hilft, unerwartete Situationen besser zu managen und verhindert so Unfälle oder dämpft zumindest deren Folgen.

Kinder im Straßenverkehr: Kinder zählen als Fußgänger und Radfahrer zu den mobilsten Verkehrsteilnehmern und legen im Straßenverkehr mehr Wege pro Tag zurück als der Bevölkerungsdurchschnitt. Dennoch ist die Straße eine Umgebung, deren Nutzungsbedingungen am Entwicklungsstand Erwachsener ausgerichtet sind. Deshalb sind Kindergarten- und Grundschulkinder in Bezug auf ein sicheres Verkehrsverhalten zuweilen überfordert. Beispielsweise weisen sie im Vergleich zu Erwachsenen eine höhere Ablenkbarkeit gegenüber verkehrsirrelevanten Reizen und ein noch nicht ausgereiftes Gefahrenbewusstsein auf.

Dies wird durch die Unfallstatistik bestätigt: Verursachen Kinder Verkehrsunfälle, so sind die Ursachen zumeist auf ihre noch nicht vollständig ausgebildeten perzeptiven, attentionalen, (sozio-)kognitiven und psychomotorischen Fähigkeiten zurückzuführen, betonte zum DRV Seminar Prof. Dr. Dietmar Sturzbecher, Universität Potsdam www.uni-potsdam.de .

Trotz der alterstypischen Besonderheiten bei den Verkehrsvoraussetzungen und im Verkehrsverhalten kann und muss die Verkehrs- und Mobilitätserziehung früh beginnen. Dazu gehört, dass Kinder in die Lage versetzt werden, sich im Verkehr zu orientieren. Außerdem müssen sie über Kenntnisse von Verkehrsregeln verfügen, die ihre Art der Verkehrsteilnahme betreffen, und sie müssen diese Regeln auf konkrete Verkehrssituationen anwenden können. Um dies alles zu lernen, ist es unerlässlich, im realen Verkehrsraum ausreichend zu üben.

In diesem Zusammenhang zeigt sich ein Dilemma: Die Angst der Erziehungs- und Aufsichtspersonen um die Sicherheit der Kinder führt häufig zur Einschränkung der Mobilität der Kinder. Im Durchschnitt können Kinder in einem verkehrsreichen Wohnumfeld nur 20 Minuten am Tag im Freien beim Spiel mit Gleichaltrigen verbringen, ohne dabei von Erwachsenen beaufsichtigt zu werden.

Fazit Prof. Dr. Dietmar Sturzbecher: Das kindliche Verkehrsverhalten und das kindliche Lernen stehen im Zusammenhang mit alterstypischen psychischen und psychomotorischen Entwicklungsbesonderheiten und Lernvoraussetzungen. Daher gibt es für die möglichen Lernerfolge und Lernstrategien in jeder Altersstufe spezielle Chancen und Grenzen. Sicherheitswirksame Lernerfolge lassen sich nur erzielen, wenn sich die Inhalte wie auch die fachdidaktischen Gestaltungsmöglichkeiten der Verkehrs- und Mobilitätserziehung an den jeweiligen Lernvoraussetzungen der Kinder orientieren.

Zum Thema: Vision Zero gilt auch für ungeschützte Verkehrsteinehmer, referierte Prof. Dr. Carmen Hagemeister, Technische Universität Dresden www.tu-dresden.de .

Ältere Menschen erleiden schwerere Verkehrsunfälle als jüngere, dies gilt für alle Verkehrsmittel. Daher kommt der Unfallve­rmeidung bei älteren ungeschützten VerkehrsteilnehmerInnen eine besonders große Bedeutung zu. Radfahren ist in den vergangenen Jahren populärer geworden, der Radverkehrsanteil steigt weiter, weil Radfahren preisgünstig, schnell und gesund ist und Spaß macht. Besonders für Personen, die am Beginn des Rentenalters mehr Zeit haben, ist es attraktiv, in Alltag und Freizeit mit dem Rad zu fahren. So ist zu erwarten, dass der Anteil von älteren Rad fahrenden in den nächsten Jahren weiter steigen wird. Entgegen der allgemeinen Wahr­nehmung sind nicht Zusammenstöße mit anderen VerkehrsteilnehmerInnen die Ursache der meisten Unfälle von Radfahrenden, sondern die Mehrheit der Radfahrer, die nach einem Fahrradunfall ärztlich behandelt werden, hatten Alleinunfälle, also Unfälle ohne Beteiligung anderer VerkehrsteilnehmerInnen. Viele dieser Unfälle werden nicht von der Polizei registriert, erscheinen also nicht in der Unfallstatistik. Auch die Bedeutung von Alleinunfällen von Fußgängern zeigt sich nicht in der Verkehrsunfall-Statistik. Da sehr alte Menschen oft zu Fuß unterwegs sind, ist auch hier jeder Sturz mit erheblichen Risiken verbunden.

„Mit rund 2,4 Millionen Straßenverkehrsunfällen war 2013 das unfallreichste Jahr seit der Wiedervereinigung Deutschlands. Bei rund 291 100 dieser Unfälle kamen Personen zu Schaden“, betonte Ingeborg Vorndran, Statistisches Bundesamt, Leiterin Referat Verkehrsunfälle www.destatis.de . „An mehr als jedem dritten Unfall mit Personenschaden war ein Radfahrer oder Fußgänger beteiligt, die zu den ungeschützten Verkehrsteilnehmern zählen. Langfristig ist ein Rückgang bei der Gesamtzahl der Unfälle mit Personenschaden, an denen Radfahrer oder Fußgänger beteiligt waren, zu verzeichnen. Auch die Zahl der Getöteten dieser beiden Verkehrsteilnehmergruppen ist seit 1990 deutlich gesunken, die der Fußgänger stärker als die der Fahrradbenutzer. Langfristig leicht angestiegen ist aber die Zahl der Verunglückten auf Fahrrädern, während die Zahl der verunglückten Fußgänger überdurchschnittlich stark zurückgegangen ist. Die Zunahme der Zahl der Verunglückten auf Fahrrädern im Laufe der Jahre hängt auch damit zusammen, dass Radfahren heute wesentlich beliebter ist als noch vor über 20 Jahren und demzufolge mehr Radfahrer unterwegs sind. Derzeit gibt es einen Trend hin zu mehr Elektrofahrrädern“.

Ob und wie sich dies auf die Unfall- und Verunglücktenzahlen auswirkt, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Trotz der bisher erreichten Verbesserungen verunglückte im Jahr 2013 im Durchschnitt immer noch alle 5 Minuten ein Fußgänger oder Fahrradbenutzer im Straßenverkehr. Pro Tag verloren zwei ungeschützte Verkehrsteilnehmer ihr Leben infolge eines Verkehrsunfalls.

All diese Zahlen verdeutlichen die Notwendigkeit den Straßenverkehr für die Radfahrer und Fußgänger sicherer zu gestalten. Besonders im Fokus stehen dabei Kinder und ältere Menschen: Kinder sind die schwächsten Verkehrsteilnehmer und können die Gefahren des Straßenverkehrs nicht immer richtig einschätzen. Jedes dritte der 28.143 verunglückten Kinder unter 15 Jahren im Jahr 2013 war zum Zeitpunkt des Unfalls auf einem Fahrrad, jedes vierte als Fußgänger unterwegs. Von den 58 tödlich verunglückten Kindern starben mehr als die Hälfte als ungeschützte Verkehrsteilnehmer. Kinder sind vor allem ab dem Schulalter als Fußgänger und Radfahrer gefährdet. Sehr häufig verunglücken die 6- bis 14-jährigen Radfahrer oder Fußgänger zwischen 7 und 8 Uhr morgens und von 13 bis 14 Uhr, also in den Zeiten, in denen sie Sich normalerweise auf dem Weg zur Schule oder zurück befinden. Aber auch in den Nachmittagsstunden zwischen 15 und 18 Uhr kommen viele junge Mädchen und Jungen zu Schaden.

Ältere Menschen im Alter ab 65 Jahren spielen schon allein durch die demografische Entwicklung eine immer größere Rolle als Teilnehmer im Straßenverkehr. Zudem sind Senioren heute aktiver als frühere Generationen und deshalb auch immer häufiger als Fahrradfahrer unterwegs.

Das DVR Seminar Ungeschützte Verkehrsteilnehmer war ein Erfolg. Acht Referenten, alles Experten, referierten zum Thema und nach jedem Vortrag folgte eine intensive Diskussion. Im Vordergrund stand die Frage: Welches Potenzial steckt in der Verbesserung der Infrastruktur, um Fußgänger- und Radfahrerunfälle in den Städten und Gemeinden zu reduzieren. Wie kommen Menschen mit Behinderung in unserer Verkehrswelt zurecht und welche Forderungen und Perspektiven ergeben sich daraus für unsere Gesellschaft. Welche Programme, Maßnahmen und Empfehlungen des DVR sind geeignet, um der Vision Zero nahezukommen, dass kein Fußgänger und Radfahrer getötet oder schwer verletzt wird. Eine gelungene Veranstaltung.

DVR Deutscher Verkehrssicherheitsrat, Auguststraße 29, D-53229 Bonn, www.dvr.de

Ein Beitrag für ReiseTravel von Gerald H. Ueberscher.

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