Kärnten | Magische Momente |
Da wo die Sonne länger scheint, auf 930 Meter Seehöhe, liegt der Naturpark Weißensee, der höchste See am Fuß der östlichen Gailtaler Alpen.
Kärnten: Um diese Jahreszeit zeigt er seine besonders geheimnisumwobene Seite. An sich hat der Herbst keinen guten Ruf. Schmuddel Wetter. Grauer Himmel. Vergänglichkeit. Bitterzarte Melancholie. Doch der Herbst ist mehr als das Ende des Sommers. Würdevoll streifen die Bäume ihr bunt gefärbtes Herbstkleid über. Tanzend lassen sie ihre Blätter sanft zu Boden fallen. Ein Meer aus gefärbten Sträuchern und Wäldern ziert die Hänge des Naturparks Weissensee. Grafisch anmutend spiegeln sich die immer kahler werdenden Zweige und Äste im kristallklaren Wasser des Weissensees. Mal leuchtet er weithin im Hellgrün, dann wieder im Majestätischen Türkisblau.
Eine Stille, die man hören kann
Wie ein skandinavischer Fjord inmitten der erhabenen Präsenz der unberührten Bergwelt, liegt der Weissensee auf 930 Meter Seehöhe. Er ist ein Überbleibsel der Eiszeit und durch seine treppenartige Struktur einzigartig: Der flachste Bereich ist 5 Meter tief und senkt sich stufenartig auf den tiefsten Teil mit 99 Meter hinab. Zudem wird der See nicht durch Flüsse, sondern durch unterirdische Quellen gespeist.
Ein mythischer Zauber von Stille ergreift ihn. Einzig der am Rande gelegene Schilfgürtel rauscht in zart flüsternden Tönen. Die Seerosen verlieren allmählich ihre Blüten. Die Blätter, scheint es, wollen sich verjüngen, sich noch einmal aufhübschen in knalligem Weinrot.
Das Gros der Touristen ist fort. Der Herbst in Kärnten wärmt mit seinem milden Temperaturen und dem noch vollem gelben Licht die goldgelben Mooswiesen bis weit in den Oktober und November hinein. Die umliegenden Berggipfel lassen sich vom See aus über Almen und Hütten entlang traumhafter Wanderrouten erklimmen oder etwas gemütlicher erwandern. Doch die landschaftliche Schönheit mit dem bunten Wechselspiel zwischen Wasser, Wald und Berge ist nicht der einzige Anziehungspunkt.
Sensationelle Funde
Ein unglaublicher Fund sorgte am Weissensee für Furore: nämlich vollständige Skelette verschiedener Saurier aus der Urzeit. Fossilien mit einem geschätzten Alter von 243 Millionen Jahren. Und
erst im vorigen Jahr konnte man mit einer weiteren sensationellen Entdeckung aufwarten. Es war der Sagenumwobene und längst als ausgerottet geglaubter Edelkrebs, der noch heimisch ist im Weissensee. Man glaubt, dass er immun sei gegen die Krebspest, die seit der Einschleppung des amerikanischen Kamberkrebses um sich griff.
Egal, zu welcher Jahreszeit man den Weissensee im Süden Kärntens besucht, er bringt die Seele zum Lächeln. Durch seine ursprüngliche Landschaft, das Heilklima – und vor allem durch die Ruhe.
Sein 23 Kilometer langes Ufer ist nur zu einem Drittel bebaut, der Rest, steht unter Natur- und Landschaftsschutz. Man setzt auf sanften Tourismus und die Belebung alter Traditionen. Die Dörfer am Weißensee gehörten einst zu den ärmsten von ganz Kärnten. Hier lebten Bauern, Holzknechte, Fischer, Käser, auch Bergknappen; am Ostende des Sees gab’s Gold, Silber, Salz. Wurden schon in früheren Zeiten die Heuwagen und Fuhrwerke der Bauern auf einem Floß transportiert, können Besucher heute sogenannte Genusstouren auf dem Floß erleben bei köstlichem Weissenseefisch und Wein. Das Floss bringt Naturliebhaber über die glitzernde See bis zur Heimstatt der dort ansässigen Tier- und Pflanzenwelt.
Auf Spuren und Fährtensuche
Raschelnd Schritt für Schritt streift die Zoologin und Botanikerin Manuela Siller durch das grün, orange, braun, lila bemalte Laub der Buchen, Kiefern und Fichten. Sie ist dem mythischen Zauber auf der Spur. Bei einer solchen Wanderung kann man vieles lernen, etwa über die keimtötende Wirkung von Baumharzen für allerlei Kleingetier wie auch über Verhalten, wenn einem im dicht bewachsenen Gebirge oberhalb vom Weissensee noch Braunbären begegnen.
„Meist kommen sie zu Besuch aus Slowenien und sind eher selten anzutreffen. Eher schon Goldschakale und Luchse“, erzählt die Landschaftsführerin. Wissenswertes erfährt man auch über heimische Schlangen. So sei die ungiftige Äskulapnatter die größte Schlange der Region und könne über 2 Meter lang werden. Giftige könne man von nicht giftigen Schlangen durch die Augen und die Bissspur unterscheiden. Interessant auch, dass Ameisenhaufen ihre größte Nestausdehnung immer Richtung Süden aufweisen - so würden sie den Menschen unterstützen, sich nach Himmelsrichtungen zu orientieren.
Auf einem der Waldwege hebt Manuela Siller die hellblau schimmernden Schmuckfeder eines Eichelhähers auf. Jetzt im Herbst fallen reichlich Eicheln, die der Eichelhäher nicht schafft zu essen. Deshalb vergräbt er sie für später. Daher auch sein Name.
Spannend wie ein Krimi
Aus gefundenen Federn lasse sich wie in einem Krimi lesen. Kampfspuren von Klein- oder Großgefieder. Wer hat hier wen gejagt? Hat der Greifvogel, der Fuchs oder der Luchs die Wildente auf dem See erwischt? Um herauszufinden, welches Tier sich an bestimmten Plätzen des Waldes aufhielt, geben auch Farbe, Form und Größe ihrer Hinterlassenschaften Auskunft.
Und was hat es mit den abgeerntete Zapfenspindeln der Fichten auf sich? Hinter den winzig kleinen Schuppen haben sich Eichhörnchen die Samen herausgenagt. Buntspechte dagegen klemmen sich die wild zerfledderten Zapfen in einen Baumspalt und hämmern mit dem Schnabel wild auf sie ein und verfuttern diese. Die Rangerin macht auf abgescheuerte Weiden oder Fichten aufmerksam. Hirsche und Rehböcke haben in den Sommermonaten daran ihr Geweih „abgefegt“, das heißt abgeschubbert. Durch das „Fegen“ an Bäumen und Sträuchern dringen Rinden- und Pflanzensäfte in die Poren der Stangen ein, wodurch das Geweih seine Farbe erhält. Jetzt ist die Zeit, da die Tiere ihr Winterhaarkleid überstreifen, zunächst unauffällig, weil die roten Sommerhaare das wachsende graue Winterhaar lange überdecken. Auch das Geweih fällt jährlich in der Zeit von Oktober bis November ab und beginnt unter einer schützenden und nährenden Basthaut sofort neu zu wachsen.
Ein Phänomen der besonderen Art ist im Herbst der alljährlich stattfindende Vogelzug. Dann kann man Tausende Bussarde beobachten. Allein 190 Vogelarten leben hier. Und im glasklaren Wasser des Weissensees tummeln sich 22 verschiedene Fischarten. Für seine Seeforellen ist der Weißensee schon seit dem Mittelalter bekannt.
Lebensraum für Fauna und Flora
Auch viele botanische Besonderheiten, Blumen und Kräuter bietet der Naturpark Weissensee. Nicht zu übersehen die zahlreichen Frauenschuhe, die mit ihren Blütenkelche tatsächlich an Ballerinas erinnern. Das Mädelsüß, ein typischer Feuchtigkeitsanzeiger der durchnässten Wiesen. Wilder Kümmel, Laabskraut, Zittergras und Silberdisteln neigen langsam sich zur Erde. Auch wenn nahezu verwelkt, warnt die Biologin vor dem gelben traubenartigen, hochwüchsigen Wolfs-Eisenhut auch Fuchs-Eisenhut genannt, der sehr giftig sei.
„Unser Wald ist eine tolle Kulisse und Lebensraum für Fauna und Flora. Es ist immer wieder fantastisch, wie eins ins andere greift, ein Wunderwerk der Natur. Es gibt keine Schubladen, alles ist belebt und miteinander verwoben“, staunt Manuela Siller. Schon als Kind sei sie voller Begeisterung von dem lebendigen Zusammenspiel der natürlichen Kräfte gewesen. Heute ist sie überzeugt: „Pflanzen und Tiere
haben Emotionen, Gefühle, sind klug und intelligent.“
Weissensee im Winter
Im Winter verwandelt sich der See in eine der größten geschlossenen Natureisfläche Europas und einer bis zu 60 cm dicken Eisdecke. Von Mitte Dezember bis Mitte März ein wahres Eldorado für Liebhaber von Eislaufen, Eisstockschießen und Eishockeyspielen. Seit 1989 werden im Januar und Februar auf der Natureislaufbahn sogar Eislaufmarathons durchgeführt. Tausende aktive Teilnehmer und interessierte Zuschauer pilgern dann zum Weissensee, um ihrem Lieblingssport zu frönen. Im Winter sorgen zudem auch ein Familienskigebiet am Südufer des Sees sowie ein rund um den See verlaufendes Langlaufloipen Netz für pures Vergnügen in der weißen Pracht.
Inzwischen werden die Tage kürzer am Weissensee. Am Abend, wenn das herbstlich warme Licht der Sonne sinkt, legt es sich auf die weich schimmernde Oberfläche des im zarten Nebel eingetauchten Sees und geht über in einen unvergesslichen Sonnenuntergang. Magische Momente. Eine Zugabe des Sommers.
ReiseTravel Service
Die Region wurde 1995 mit dem „Europäischen Preis für Tourismus und Umwelt" ausgezeichnet und zum Naturpark erklärt. Der Weissensee ist außerdem Mitglied der Alpine Pearls und mit diesem Prädikat ein besonderer Geheimtipp für Naturliebhaber. Innovative Mobilitätskonzepte sorgen in der gesamten Region Weissensee für ein umfassendes Erlebnis sanfter Mobilität.
Weissensee Information, Techendorf 78, A-9762 Weissensee. Hotel Moser am Weissensee. www.hotel-moser.at
Ein Beitrag mit Foto für ReiseTravel von Christel Sperlich
Fernsehjournalistin Christel Sperlich entdeckt gern die ungewöhnlichen Geschichten hinter dem Abenteuer Reisen.
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