Quebec | Unter Schneegänsen |
Am mächtigen St. Lorenz-Strom im Osten von Kanada entdecken Individualisten noch Ferienneuland. Wenn der Indian-Summer die Provinz Quebec bunt anmalt, ist die farbenfroheste Zeit für eine Entdeckungstour in den frankophilen Teil Kanadas.
Wildnis am großen Lorenz-Strom: Weil die ländliche Region zu weit von den Bevölkerungszentren der Küste entfernt ist, hält sie Urlauberscharen auf Distanz. Zum Beispiel im Parc de la Jacques Cartier.
Nicht sprechen, ganz langsam bewegen! „Öennck, öennck“, ahmt Pierre den Lockruf eines Elchs nach. Angestrengt spät der Wildführer durch die auf einem See tanzenden Nebelschwaden. Vorsichtig robbt er auf allen Vieren ans Ufer. „Öennck!“ Kein Langbein in Sicht.
Plötzlich raschelst im Geäst und platscht es im Wasser. Fehlanzeige. Nur ein Wasservogel landet in seinem Element. Es ist acht Uhr morgens. Seit zwei Stunden ist die Gruppe auf Elch-Pirsch, lauert hinter Büschen, schleicht durchs Gehölz und verharrt auf schmalen Pfaden. Da! Ein leises Schnaufen, ein kurzes Knacken - aber kein Elch. Vielleicht haben die scheuen Tiere den Braten gerochen? Macht nichts. Quebec, Kanadas größte Provinz, bietet Naturliebhabern auf einer Länge von 400 Kilometern wildnisreiche weite Wälder, Tausende von Seen und Flüsse, Logenplätze für Walbeobachtungen und das „Savoir Vivre“ seiner Hauptstadt Quebec City.
Einsame Weite am St. Lorenz Strom: Dorfkirche an der Straße nach Tadoussac, der Futterkrippe für Wale.
Ein blauer, wolkenloser Himmel wölbt sich über die herbstlichen Wälder. Blutrot und in leuchtendem Orange strahlen Ahorn und Hartriegel. Dazwischen schimmern Birken und Eichen in grellen Ocker- und Gelbtönen. In Dörfern stehen die Bäume wie flammende Fackeln am Straßenrand. Ein Bild wie von da Vinci gemalt. Ende September zeigen sich die ersten roten und gelben Spitzen auf den Blättern der Laubbäume.
Dann geht es ganz schnell. Sobald die ersten Nachtfröste einsetzen, verwandeln sich die bewaldeten Hügelzüge über Nacht in Märchenlandschaften.
Herbstliches Stillleben mit Ferienhaus auf dem Weg nach Quebec-City
Warum dieser Farbenrausch so ungleich spektakulärer ist als die Laubfärbung in der Alten Welt, erklärt Marie-Josée Laforest bei einer Wanderung hoch über dem Jaques-Cartier-Fluss, der sich wie ein silbernes Band durch den kanadischen Farbkasten schlängelt: Tonangebend für die Sinfonie der Farben sei das Zusammenspiel von kalten Nächten und sonnigen Tagen. In diesem Klima produzieren die Bäume eine korkhaltige Substanz, die den Flüssigkeitsaustausch zwischen Blättern und Ästen blockiert. Der Chlorophyllgehalt der Blätter sinkt, und der Zucker, der sich darin angereichert hat, lässt sie in den schönsten feurigsten Farben erblühen. Zudem gebe es hier eine viel größere Vielfalt von Laubbäumen. Allein 20 verschiedene Ahorn und neun Eichenarten kommen vor – und jede von ihnen prunkt im Herbst mit eigenen Farbnuancen. Und warum heißt das Naturschauspiel „Indian“ Summer? Weil nach indianischem Glaube das Rot der Ahornblätter das Blut der in dieser Hauptjagdzeit erlegten Tiere symbolisiert, gibt die Naturführerin eine von vielen Erklärungen.
Eine Brücke über dem Fluss am Südzipfel des Parks markiert den Lauf mit stillem Wasser und den anderen Teil mit herausfordernden Strömungen und Strudeln. Am Ufer reicht Marie-Josée Lunchpaket und teilt Paddel für eine Flusspartie aus. Die warme Oktobersonne scheint den Kanuten ins Gesicht, als sie zum Steg hinunter steigen. Im rhythmischen Takt tauchen die Paddel in das eiskalte Gebirgswasser. Beim Gleiten durch die romantische Wildwest-Szenerie werden Geschichten von Trappern und Indianern wach. Seit Urzeiten siedelten Irokesen und Huronen am St. Lorenz Strom und seinen Nachbarflüssen. Anfang des 17. Jahrhunderts kamen die französischen Entdecker auf großen Segelschiffen und drangen in das Herz des Kontinents vor. Ihnen folgten Siedler und Waldläufer, die auf der Jagd nach Biberfällen und Bären durch die Wälder streiften.
Von dieser Wildnis ist es ein Katzensprung bis nach Quebec-City und nur 350 Kilometer weit in den Süden bis nach Montreal. Heute zeigt der Reisekompass nach Tadoussac, wo Walbeobachtungen die Hauptattraktion an der Côte-Nord sind. Vier Stunden dauert die Fahrt entlang des St. Lorenz flussaufwärts nach Baie-Ste. Catherine. Eine Fähre setzt nach Tadoussac über. Auf einem felsigen Vorsprung ragt der 900-Seelen-Ort weit in den Mündungsbereich zweier großer Wasserwege hinein. Das Salzwasser des St. Lorenz und das frische Süßwasser des Saguenay verbinden sich zu einem Whirlpool, dessen reiche maritime Flora Walen als nahrhafter Fressnapf dient.
„Erst als Dampfschiffe die Meere eroberten, kamen Touristen hierher“, erzählt Maurice, während er einer Gruppe Schwimmwesten und Öljacken reicht. Zielstrebig steuert er das wendige Schlauchboot zu den Tummelplätzen von Minkwalen und Finnwalen. Eine „Walgarantie“ könne er bei der Beobachtungstour zwar nicht geben, manchmal käme er den sanften Riesen aber so nahe, dass Beobachter ihre Atemlöcher sehen können und mit ihnen Augenkontakt haben.
Wal in Sicht! Eine wuchtige, meterhohe Atemfontäne schießt aus dem Wasser. Wenig später passiert das, was Hobbyfotografen vor die Linse sehnen: Der majestätisch durch das Wasser stoßende Meeressäuger zeigt sich mehrere Male an der Oberfläche, dann hebt er seine gewaltige Schwanzflosse senkrecht aus dem Wasser und taucht in einer gewaltig aufstiebenden Gischt ab in die Wassertiefe. Auf den Wellen des Tauchmanövers fährt das Schlauchboot Achterbahn. Eine Lady klettert mit patschnassen Hosen an Land. Es sei ihr Fünftes, aber nicht letztes „Whale Watching“ gewesen, versichert die 73-Jährige aus Louisiana. Irgendwann gelinge ihr es, einem Wal in die Augen schauen. Das verheiße Glück und ein langes Leben. Am liebsten einen 30 Meter langen Blauwal, natürlich. Aber diese seltenen mächtigsten Tiere der Welt, statten selbst der „Gourme-Küche in Tadoussac nur selten einen Besuch ab.
An die selbe Verheißung beim Blick in die großen Kulleraugen einer Robbe, will die rüstige Amerikanerin freilich nicht glauben. Das erleichtert ihr später den Verzicht auf eine Kajak-Tour im Parc du Bic, einem großen Mosaik kleiner Buchten, Inseln und Sandbänke gegenüber von Tadoussac am anderen Ufer des Lorenz-Stroms. Als die in Neoprenanzügen gezwängten Freizeitsportler in der Bucht von Anse á Original dem Sonnenuntergang entgegenpaddeln, äugen neugierig schwarze Köpfe aus dem stillen grünen Wasser – so als wollten die Robben die Paddler zum Versteckspiel auffordern. Aufgepasst! Sechs Knopfaugen locken ein Kajak geradeaus, verschwinden dann aber blitzschnell unter Wasser. Wenig später tauchen die Heuler Steuerbord oder Backbord wieder auf. Sind sie da, sind sie weg. Reingefallen.
Paddeltour auf den (Wasser-) Spuren von Trappern und Indianern. Der Jacques-Cartier-Fluss windet sich mit stillen und wilden Wassern durch die Laurentinische Bergwelt.
Während die Robben mit den Paddlern ihr Versteckspiel fortsetzen, bietet der Himmel ein rauschendes Kontrastprogramm. Hektisch flatternde weiße Punkte werden größer und größer. Mit aufgeregtem Geschnatter ziehen Tausende von Schneegänsen über den Parc du Bic. Die weiß gefiederten Vögel haben den kurzen arktischen Sommer genutzt, um ungestört brüten und den Nachwuchs heranziehen zu können. Nun machen sie auf ihrer Reise an die nordamerikanische Ostküste in den Wildreservaten vor den Toren der Provinzhauptstadt Quebec-City Station.
Ein romantischer Kontrast im Stile der Belle Epoque ist die im Örtchen Bic gelegene zauberhafte Aubérge du Mange Grenouille. Ein bis ins Details liebevoll mit historischen Möbeln und eingerichtetes Hotel, deren Zimmer eher die Bezeichnung „Museum“ verdienen. Ganz nach dem Geschmack der Südstaaten-Lady, die sich im wilden Kanada in eine Parisreise vor 40 Jahren zurückversetzt fühlt.
ReiseTravel Service
Beste Reisezeit ist von Mai bis Oktober, zum Indian-Summer Mitte September bis Mitte Oktober. Um diese Zeit werden noch angenehme Sommertemperaturen erreicht.
Allgemeine Info: Quebec, Kanadas französisch und englischsprachige Provinz, ist viereinhalb Mal so groß wie Deutschland, hat aber nur fünf Einwohner pro Quadratkilometer (in Deutschland 402 Einwohner). Die Lage zwischen dem 62. und 45. Breitengrad entspricht der Distanz von Oslo bis Florenz.
Das kleine Hotel „Mange Grenouille“ in Bic bietet romantisch, kuschelige Zimmer im Stil der „Belle Epoque“ und Quartier für Unternehmungen für Kajak-Touren im Parc du Bic.
Abwechslungsreich ist eine Kombination aus Wildnisabenteuer und Stadtaufenthalt. Die üppige Naturlandschaft beginnt quasi vor der Haustür der Provinzhauptstadt Quebec-City. Mit 650 000 Menschen lebt die Hälfte der Einwohner Quebecs in dieser ganz europäisch wirkenden größten französischsprachigen Stadt außerhalb Frankreichs.
Die treuesten Gäste Quebecs sind nicht Urlauber, sondern Schneegänse. Heerscharen der weiß gefiederten Vögel tanken Anfang Oktober an den Ufern des St. Lorenz Stroms Kraft für ihren Weiterzug an die Ostküste Nordamerikas. In riesigen Gruppen erheben sich zigtausende Tiere in die Lüfte und sind mit ihrem aufgeregten Geschnatter kilometerweit zu hören. Die zwei Autostunden von Quebec-City entfernte Ortschaft Montmagny feiert die Ankunft der Schneegänse mit einem mehrtägigen populären Schneegans-Festival.
Auskünfte und Prospekte: Destination Quebec c/o Lange Touristik-Dienst, Postfach 20 02 47, D-63469 Maintal. Telefon: 06181 / 45178, Fax: 497558. www.bonjourquebec.com
Ein Beitrag mit Fotos für ReiseTravel von Manfred Lädtke.
Unser Autor lebt und arbeitet in Karlsruhe.
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