Chemnitz

Stadt der Moderne, der Industriekultur und Kunst

Die Sicht ist grandios: Wir stehen ganz oben auf dem Rathausturm 64 Meter hoch, haben einen unbegrenzten 360 Grad Blick. Und können uns erstmals einen Eindruck verschaffen von Chemnitz, dem früheren Karl Marx-Stadt. Das mit dem Logo „Stadt der Moderne“ wirbt und gleichzeitig eine gelungene Symbiose mit Industriekultur und Kunst eingeht. Es sind die Gegensätze, die diese regionale Metropole nahe zum Erzgebirge auszeichnen, dieses Auferstehen nach der Wende wie Phönix aus der Asche.

Die Türmerin Monika in historischer Kleidung hat ein schwärmerisches Leuchten in ihren Augen, als von „ihrer“ Stadt, ,, deren Ursprung im 12. Jahrhundert liegt“, erzählt. Von den Kriegswunden bis zum heutigen Glanz, von den Preziosen im Rathaus, wo wir großflächige Wandbilder so bekannter Maler wie Max Klinger und Neo Rauch bestaunen dürfen. Wer hätte letzteren vermutet hinter den dicken Mauern? Dann hinunter in das reich mit Ornamenten verzierte Gewölbe des Ratskellers, eine feine Adresse zum sich Wohlfühlen und Dinieren. Wieder hinaus ins Freie, uns wird erneut bewusst, wie eng Historie und Jetztzeit beieinanderliegen: Durch ein Tor schreitet man in ein Stück Mittelalter, sieht die Renaissance - Front eines Hauses, - fast unwirklich ist das -, und nicht weit daneben die spiegelnden Glasflächen moderner Gebäude.

Chemnitz - Karl Marx Stadt und Karl Marx

Chemnizs by ReiseTravel.eu

Nur ein paar Schritte sind es zum Kulturkaufhaus DAStietz, wir bestaunen Fragmente der Urgiganten eines 290 Millionen Jahre alten versteinerten Waldes, durch Verkieselung bei einem Vulkanausbruch entstanden. Er ist heute eine der bedeutendsten Kieselholzsammlungen weltweit. Susan Endler vom Tourismus und Marketing Chemnitz, meint, „unsere Stadt wird unterschätzt, dabei haben wir so viel zu bieten, oft Alleinstellungsmerkmale“. Wie das sächsische Industriemuseum, seit Juni 2015 werden in einer alten Gießerei 220 Jahre Industriekultur präsentiert. Wie auf dem Laufsteg passieren wir die unzähligen Exponate und können uns jetzt vorstellen, welche Wirtschaftskraft Chemnitz einst hatte als Sitz bedeutender Fabriken, deren Besitzer Entdecker-Geschichten geschrieben haben.

Apropos Museen: 20 gibt es davon in der über 240.000 Einwohner zählenden Stadt und wir beschränken uns auf einige wenige. Was man auch nicht versäumen sollte, ist das Staatliche Museum für Archäologie in der sanierten Architekturikone der Klassischen Moderne. 300.000 Jahre Menschheitsgeschichte auf drei Etagen, „absolut staubfrei“, wie Wissenschaftlerin Jutta Boehme schmunzelnd anfügt. Dem Kunstfreund schlägt später das Herz höher, als er die Kunstsammlungen Chemnitz mit dem Museum Gunzenhauser im wahrsten Sinne des Wortes genießen darf, eine legendäre Bilderschau aus dem Bestand des kürzlich verstorbenen  Münchner Galeristen. Hier haben das weltweit zweitgrößte Otto Dix - Konvulat, Europas zweitgrößte Jawlensky- Sammlung und ebenso die „Brücke“-Künstler Karl Schmidt-Rotluff, Ernst-Ludwig Kirchner und Erich Heckel ihren exponierten Platz. Oder Lovis Corinth, Edvard Munch und Georg Baselitz.

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Ein Muss ist der Abstecher eine kleine Anhöhe hinauf in die Parkstraße, die Villen aus der Gründerzeit säumen. Wir stehen vor der Villa Esche, einem Prachtexemplar europäischen Ranges, in der sich die Abendsonne widerspiegelt in mediterraner gelber Farbe. Es ist ein von Henry van der Velde geschaffenes Gesamtkunstwerk und dokumentiert den Übergang vom Jugendstil zur Moderne in der Architektur. Drinnen die Lichthalle, ein Musikzimmer und ein Speiserondell, man fühlt sich in eine andere Welt versetzt. Um schließlich in einem Gourmettempel zu landen, dem Restaurant Villa Esche. Vorzüglich die Speisen und der Service, wie überhaupt Chemnitz kulinarische Überraschungen bereit hält.

Ohne sich von Karl Marx aus der Stadt zu verabschieden, geht nicht. Nochmals zurück zum Monument des großen Denkers. Imposant, wie uns sein Kopf, in Bronze gegossen, anschaut, 7,10 Meter hoch und 40 Tonnen schwer. Zur Fußball-WM 2014 war sein Konterfei mit einem Tuch mit den Nationalfarben in Schwarz-Rot-Gold geschmückt, erzählt die Stadtführerin. So ändern sich die Zeiten. Ob er als Namensgeber bis zur Wende wohl geahnt hätte, wie schön „sein“ Karl-Marx-Stadt nach der Zeit des Sozialismus jetzt wieder aussieht?

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Erneutes Rendevouz: Was schön war, muss sich wiederholen. Vielleicht ist es beim Reisen so ein bisschen wie in der Liebe: Ein erstes Kennenlernen mit dem Wunsch nach einem Wiedersehen. Der jetzt erfüllt wurde. Wir durften Chemnitz erneut besuchen, im Übergang vom Frühling zum Sommer. Und entdeckten eine neue Stadt.

Mit mäandernden Bachläufen, viel Grün, einem großen Park mit Schlossteich, Insel und daneben die ehemalige Klosteranlage, sehr ländlich. Viel Fahrradfreundlichkeit in der City. Nur hinauf zum Kaßberg wird es steil, die Anstrengung lohnt sich jedoch. 750 sanierte Gebäude, viele im Jugendstil, sind zu sehen, besondere Hingucker die reich verzierte Fassade der Majolika- Häuser. Es ist das Vorzeigeviertel, wo schon die Schriftsteller Stephan Hermlin und Stefan Heym wohnten. Das sächsische Industriemuseum, ein Eldorado für Sonderausstellungen, lockte diesmal mit dem Thema „Fahrrad“. Vom Laufrad (1817) bis zum top- aktuellen Karbonrad reicht die Bandbreite, ein tiefer Einblick in die Geschichte der Fortbewegung per Pedale.

Hatten wir schon von der Privatsammlung Gunzenhauser einen bleibenden Eindruck mitgenommen, überwältigten uns die staatlichen Kunstsammlungen Chemnitz, gleich neben Oper und St. Peterkirche am imposanten Theaterplatz. Auf drei Etagen wird man nicht müde, all die Preziosen in sich aufzunehmen: Von Edvard Munch als Grafik, einem beweglichen Heiligen Grab, bis zu den Brücke-Künstlern, die den Holzschnitt wieder entdeckten. Man verinnerlicht Porträts von Oskar Kokoschka und Otto Dix, ist im Gedanken mit der Mystik eines Caspar David Friedrich unterwegs und bewundert die Bilder des Lokalmatadoren Karl Schmidt-Rottluff. Nur noch in Berlin-Dahlem sind mehr Gemälde von ihm zu sehen. Dass Andy Warhol zu den Pulitzer- Preisträgern gehört, wurde ebenso bewusst, wie Ausschnitte aus seinen schöpferischem Wirken.

Nicht versäumen sollte man einen Abstecher ins Heck-Art, gleichermaßen Gourmettempel und Galerie. Unten speisen, wo es sich schon schon Bundespräsident Richard Weizäcker, Bundeskanzler Helmut Kohl und Nobelpreisträger Günther Grass gut gehen ließen, oben ein Streifzug durch zeitgenössische Kunst, stetig wechselnd. Und Technologie ist in der Stadt natürlich weiterhin eine große Komponente. Gerade baut die Firma steelconzept an einem „Leuchtturmprojekt“ : Design-Stahl wird im Hochschwarzwald in die Höhe ragen, auf 232 Metern ist eine öffentliche Besucherplattform angebracht, die Höchste ihrer Art in Deutschland. Wir durften Teile davon beim Betriebsrundgang besichtigen. Später dann: Wie könnte der Begriff „Stadt der Moderne, Kunst und Kultur“ besser definiert werden als mit dem 25. Sächsischen Mozartfest. Peter Rösel, Mozart-Preisträger 2016, gab erst wunderbare Kostproben seiner Meisterschaft am Klavier, danach zeigten Nachwuchskräfte ihr Talent. Chemnitz ist gesegnet mit vielversprechenden jungen Leuten am Piano.

ReiseTravel Fact: Es gibt mehr zu entdecken, als man vermutet. Chemnitz hat Alleinstellungsmerkmale, die noch unbekannt sein dürften. Du Schöne an der Chemnitz wirst oft verkannt. Dresden und Leipzig strahlen hell, Du aber hältst viel im Verborgenen, was es zu entdecken gilt. Und sind unerwartete Überraschungen nicht schöner als das, was man schon 1000mal in der Werbung und via Bildschirm gesehen hat? Daher sollte man öfters mal hinfahren.

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Anreise: Mit dem Zug zum Hauptbahnhof, von dort kurzer Fußweg ins Zentrum oder per Tram. Mit dem Auto aus Richtung Süden auf der A-72 Ausfahrt Chemnitz-Süd oder von Norden kommend Ausfahrt Chemnitz-Mitte.

Ausflugsziele: Empfehlenswert das Wasserschloss Klaffenbach vor den Toren der Stadt, eingebettet in viel Grün mit einem 18-Loch-Golfplatz. Das nahe Erzgebirge mit seinen Höhen und Tälern lohnt ebenso einen Abstecher. Informationen zu Chemnitz unter www.chemnitz-tourismus.de

Buchtipp: „Chemnitzer Reiseführer“ mit Stadtgeschichte, Museen, Architektur und Industriedenkmäler, sowie Interessantes aus der Umgebung, außerdem Liniennetzplan, Stadtplan und Nightguide. 4,00 Euro. Bekommt man in der Tourist-Information Chemnitz oder über Thalia im Buchhandel.

Ein Beitrag für ReiseTravel von Horst Wunner.

Horst Wunner ReiseTravel.euUnser Autor arbeitet als Journalist und lebt in Altenplos in Bayern.

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