Binz | Räuber, Jäger und Gejagte |
Wer glaubt, auf Rügen lassen sich nur Muscheln finden und Kleckerburgen bauen, der irrt. Die Insel ist ein Paradies voller Naturwunder und lädt Kinder ein, sich auf Schatzsuche einer längst vergangenen Zeit zu begeben.
Ankommen in Binz: Na klar, an der Ostsee ist erst einmal eine Erfrischung fällig. Zunächst nur mit den Füßen schnurstracks am Strand entlang und patsch patsch hinein in die kräuselnden Schaumkronen der ankommenden Wellen. Und unbedingt noch Burgen und Paläste bauen aus Matsch mit Mauern und Türmchen. Dazu Muschelschmuck mit Seetang.
Große und kleine „Strandräuber“ suchen in gebückter Haltung, was das Meer in der Nacht ans Ufer gespült hat: Bernstein, glücksbringende Hühnergötter oder Treibholz. Verlaufen kann sich hier niemand, denn von der Promenade aus haben sämtliche Strandzugänge in Binz lustige Schilder mit Figuren, Räuber oder Tieren darauf.
Binz ist das größte Ostseebad Rügens und liegt im Osten der Insel an der Bucht Prorer Wiek. Abseits des Strandes, nicht weit vom Zentrum entfernt und vielen Besuchern gänzlich unbekannt, glitzert im Abendlicht der Schmachter See. Das Ufer ist mit viel Schilf bewachsen. Im „Park der Sinne“ befindet sich einer von vielen Spielplätzen in Binz. Balancieren, Klettern, Schwingen oder Wippen. Alles zum Ausprobieren. Das Gebiet um den See herum entstand schon zur Eiszeit. Am Abend, wenn es ganz still wird, kann man mit etwas Glück den Drosselrohrsänger hören, Graugänse und Enten beobachten oder Fischadler. Um diese Zeit zeigt die untergehende Sonne ihr schönstes Licht zeigt.
Von Müdigkeit ist trotz längerer Anreise noch längst keine Spur. Im Familienhotel „Familotel“ geht es noch weiter auf Entdeckungstour, im Kids-Club und auf der riesigen Rutschraupe.
Unterwegs mit dem „Rasenden Roland“
„Moin Moin“ begrüßt Finn fröhlich den nächsten Tag. Aufgeregt faltet er die Rügenkarte auf, kreuzt mit rotem Stift all die Stationen an, die heute mit dem „Rasenden Roland“, der Rügener Bäderbahn angesteuert werden.
Wer am Binzer Kleinbahnhof zu früh ankommt, kann sich hier die Zeit in der Kinderbibliothek vertreiben. Nicht nur für Leseratten sind diese „Warteräume“ gedacht, sondern auch für kleine Spürnasen. In dem kleinen Museum mit Fischerstube, Bauernküche, einem Salon und einem Fremdenzimmer des anfänglichen Badelebens sind Gegenstände versteckt, die nicht in den damaligen Einrichtungsstil passen. Finn entdeckt die DVD auf den alten Sekretär oder die Plastedose im Gründerzeit Küchenschrank. Wer alle Fehler entdeckt, erhält ein Spielzeug aus Uromas Zeiten.
Nostalgisch geht es weiter. Denn schon kommt der „Rasende Roland“ angeschnauft, die historische Schmalspurbahn. Finn bekommt vom Schaffner eine bunte Fahrkarte überreicht, abgeknipst mit einer alten Zange. Der Name „Rasender Roland“ steht für Gemütlichkeit und „gut behütet sein“. Seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts rauscht die bimmelnde Dampflok über den Südosten der Insel und versetzt die Fahrgäste in eine andere Zeit zurück.
Jagen im Granitzer Wald
Erste Station ist das Jagdschloss Granitz. Bereits in der Steinzeit wurde gejagt. Wilde Tiere waren die wichtigsten Nahrungsmittel. Und aus Fellen nähte man Jacken und Mäntel. Im Mittelalter wurden Hirsche und Wildschweine vom Hochadel abgeschossen. Hase, Reh oder Fasan waren für den niederen Adel bestimmt. Später ließen die Fürsten Jagdschlösser errichten, die oft prächtiger eingerichtet waren als die eigentlichen Herrschaftssitze. Eines ist das Granitzer Jagdschloss. Idyllisch thront es auf dem Tempelberg. Den Eingang des Schlosses bewachen zwei schwarze Wolfshunde. Ein frecher Dackel, namens Waldi, gemalt auf einem Bild, führt Kinder durch das Schloss. Wer die kleinen Zeichnungen in den Räumen entdeckt, erfährt spannende Geschichten über die wechselvollen Zeiten des Schlosses. Davon erzählen Ritterrüstungen, Schwerter, alte Jagdgewehre und Pistolen, die mächtigen Jagdtrophäen an Decken und Wänden, Geweihe von erlegtem Dammwild. Oder die auf goldgerahmten Gemälden dargestellten Hetzjagden auf Bären, Wildschweine oder Rehe.
Lange bleibt Finn vor einem präparierten Rothirsch stehen, der ihn mit großen braunen Augen anschaut, so als sei er noch lebendig. Hörnerklang und Jagdsignale schallen durch die Räume und zeugen von der Lust der Fürstenfamilie.
Es waren die Fürsten von Putbus, die das Jagdschloss errichten ließen und als Feriensitz nutzten. Hohe Türme von berühmten Baumeistern überragen das Schloss. Am coolsten findet Finn die gusseiserne Wendeltreppe. Angst vor Höhen darf man dabei allerdings nicht haben, denn die Ornamente in den 154 Stufen der freitragenden Treppe sind durchsichtig. Wer sich traut, sie zu besteigen und dabei besser nicht nach unten schaut, wird belohnt mit einem weiten Fernblick über die Ostseelandschaften und auf die märchenhafte Granitz, dem rund tausend Hektar großen Buchen- und Mischwald.
Zwischen Baum- und Strauchwerk stehen Hochstände der heutigen Jagdreviere. Zu ihren Füßen weben Spinnen ihre Netze in das vom Wind sanft wedelnde Farnkraut. Blauviolette Waldlaufkäfer krabbeln durch das Unterholz, unter lockerer Rinde, baumbewachsenen Moosen. Die winzigen Räuber sind auf der Suche nach anderen Insekten, nach Schnecken und Würmern, die alle auf ihrem Speiseplan stehen.
„Steinernes Meer“ mitten im Wald
Wild wachsende Bäume und dichte Büsche auch ein Stück weiter, in der Nähe von Prora. Ein Abenteuerwald wie zu Urzeiten, nur das es hier keine Dinosaurier gibt. Dafür springen Hirsche durch das Gesträuch geradewegs zu den mit Wacholder und Heide bewachsenen Feuersteinfeldern. Die Erde übersät mit versteinerten Fossilien wie Seeigel und Dickmuscheln, Donnerkeile, alles dicht an dicht. Wer einen sogenannten „Hühnergott“, also einen Feuerstein mit einem Loch darin findet, ihn berührt und dann wieder an seinen alten Platz zurücklegt, dem werde Glück und Reichtum beschert, heißt es. Aber wer hat dieses „Steinerne Meer“ in die Landschaft gezaubert? Waren es Wundergeschöpfe, Riesen, Kobolde oder gar Außerirdische?
Es waren schwere Sturmfluten, die schon vor etwa viertausend Jahren diese Steine an Land spülten. Später, zu Zeiten der Völkerwanderung hielten die Menschen hier ihre Rituale ab, tanzten ums Feuer oder riefen ihre Götter an. Man erzählt sich, dass der Seeräuber Klaus Störtebecker in diesem geheimnisvollen Wald seinen Schatz vergraben haben soll.
Finn kniet am Boden, untersucht Stein für Stein und glaubt, Gesichter in ihnen zu erkennen oder ein Huhn, eine Robbe, einen Adler.
„Adlerhorst“ mit Comic Rallye
Ein Adlernest ist das nächste Ziel. Der Aussichtsturm vom nahegelegenen Baumwipfelpfad, erbaut wie ein „Adlerhorst“ um eine hohe Rotbuche herum. Vierzig Meter ist er hoch. Durch die Baumkronen eines Buchenwaldes führt der Weg spiralförmig hinauf, vorbei an einer lehrreichen Comic Rallye. Ein junger Seeadler hat sich im Wald verirrt. Auf seine Fragen suchen die Kinder mit nach Antworten. Auf großen bunten Tafeln erfahren sie vieles über den Wald, seinen zahlreichen Vogel- und Pflanzenarten, über Brutstätten und Flügelgrößen von Adlern. Oder wie viel Wasser ein ausgewachsener Baum über die Wurzeln aufnehmen kann, was seine Jahresringe erzählen, wie die Ostsee entstand. Vom Baumstamm bis hinauf über die Krone erleben die Kinder Moose, Insekten, Kleintiere und Vögel aus einer ganz anderen Perspektive.
An einer Wasserpumpe versucht Finn durch eigenes „Ankurbeln“ herauszufinden, welche Kraft ein Baum aufbringen muss, um Wasser über die Wurzeln bis in die Baumwipfel zu transportieren. Ein speziell justiertes Fernglas verdeutlicht die Sehleistung eines Seeadlers. Sein Auge gehört zu den höchst entwickeltesten Augen der Tierwelt.
Auf der Plattform angelangt, auch hier ein freier Blick über die einzigartige Landschaft von Rügen. Und mit etwas Glück lassen sich die heimischen Seeadler sogar bei ihren Beutezügen oder beim Bau ihrer Nester beobachten.
Mit trockenen Füßen in die Unterwasserwelt
Von den luftigen Höhenausflügen über die Erdschätze geht es nun in die Tiefe der Ostsee, vier Meter unter der Meeresoberfläche. Wie ein Ufo sieht es aus, das Tauchgestell auf der Selliner Seebrücke. Es ist Europas größte Tauchgondel. Seekrank kann auf diesem Tauchgang niemand werden, da sich eine Tauchgondel als „Tauchboot am Stiel“ nicht horizontal bewegen kann.
Zu Sehen gibt es allerdings nur grünes Wasser hinter dicken Glasscheiben, dafür Kino unter Wasser. Ein 3-D-Film öffnet auf einer großen Leinwand ein Fenster in das jüngste Meer der Erde. Es scheint, als ziehe die gefilmte Kegelrobbe direkt an der Tauchgondel vorbei. Heringe und Dorsche huschen über Seegraswiesen und Sandgrund durch die Weiten der Ostsee. Lustig anzusehen die schwebend tanzenden Quallen, die majestätischen Plattfische, Seenadeln, flinke Ostseegarnelen. Eine Flunder versucht, sich zu tarnen. Ein Meeresringelwurm ist auf Jagd nach einer Miesmuschel. Auch hier sind wieder Räuber unterwegs im Streit um Leckerbissen, Seeskorpione und Seesterne auf Beutezug durch bizarre Algenwälder. Eine Strandkrabbe verspeist genüsslich ihren Fang.
Mit dem „Rasenden Roland“ geht es zurück nach Binz, pfeifend und zischend über Wald und weite Wiesen. Noch vieles gibt es auf der Insel zu entdecken, Piraten, Nixen, Elfen und Feen, ein Königsstuhl oder eine Seepferdcheninsel. Beim Ausstieg winkt Finn der schnaufenden Dampflok und den ziehenden Wolken hinterher. „Tschüs! Bit Anner Maal“, ruft der Berliner Knirps ihr verschmitzt hinterher.
Ein Beitrag mit Foto für ReiseTravel von Christel Sperlich
Fernsehjournalistin Christel Sperlich entdeckt gern die ungewöhnlichen Geschichten hinter dem Abenteuer Reisen
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