Köthen | Strasse der deutschen Sprache |
Gegenwärtig bestimmen viele Sperrungen, Schlaglöcher, Stoppschilder und Umleitungen die Strecke. Corona bremst uns aus: Wir haben uns trotzdem auf diese spannende kulturelle Entdeckungsreise begeben
Strasse der deutschen Sprache: Diese touristische Route führt entlang sprachgeschichtlich bedeutsamer Orte durch Sachsen-Anhalt, Thüringen, Sachsen und Nordbayern. Vorrangig mitten durch Mitteldeutschland, der Schatzkammer des urdeutschen Sprachraums. Zugleich Wiege des Hochdeutschen: dank der Sächsischen Kanzleisprache und dank des Reformators Martin Luther.
Hier wirkten große Schriftsteller. Hier finden heute Festspiele, Sprachtage und Wettbewerbe für die deutsche Sprache statt, wird in Theatern und Lesefesten die Sprache besonders gepflegt und erlebbar gemacht. Wesentliches Ziel der Arbeitsgemeinschaft „Straße der deutschen Sprache“ ist die Verknüpfung von Sprachpflege und Tourismus. https://www.strasse-der-deutschen-sprache.de
Strasse der deutschen Sprache
Wir wählen die östliche Teilroute und starten in der Bach- und Buchstadt Köthen im Bundesland Sachsen-Anhalt.
Im Schloss haben die Gründer und Hüter der „Straße der Deutschen Sprache“ ihren Hauptsitz. Hier knüpft die „Neue Fruchtbringende Gesellschaft“ an die sprachpflegerische Tradition der 1617 von Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen gegründeten ersten deutschen Sprachgesellschaft an.
Das Museum mit der Erlebniswelt Deutsche Sprache lädt ein zu zahlreichen Veranstaltungen zur Pflege der deutschen Sprache.
Was erwartet uns nun konkret?
Die Hauptausstellung zeigt ausgewählte Phasen der Geschichte der deutschen Sprache so, dass dies allgemein verständlich ist. Zudem kann Sprache interaktiv erlebt werden.
Deutsch erkunden mithilfe moderner Medien. Auch mit dem eigenen Smartphone. Uns begeistert z. B. der „Lutherkoffer“, der u. a. Unterrichtsmaterialien enthält wie Handpuppen für die Gestaltung von Fabeln Martin Luthers, Schreibfedern, Wachstafeln, Anleitungen für eine Sprechwerkstatt, Filme, Arbeitsblätter und zahlreiche Materialien aus Holz zur Wortbildung und zu Redewendungen.
Interessante Antworten gibt ein Rundgang auch über Dialekte in Deutschland und die Auswanderung deutscher Wörter. https://www.erlebniswelt-deutsche-sprache.de/Erlebniswelt
Über aktuelle Projekte der Sprachgesellschaft informiert uns ihre Vorsitzende, Prof. Dr. Uta Seewald-Heeg: „Wir wollen für die Präsentation im Schloß einen Schwerpunkt Schrift in großer Breite gestalten. Mit Schreibschrift, deutscher Schrift und allen Facetten, auch interaktiv. Mir persönlich liegt unser jährliches historisches Kinderfest im Schlosshof am Herzen. Dabei findet die Sprech- und Schreibwerkstatt große Resonanz. Einen hohen Stellenwert für unsere Gesellschaft hat natürlich die Festveranstaltung zum Tag der deutschen Sprache am 12. September“.
Touristisch auch interessant: Bachgedenkstätte; Hahnemann als Begründer der Homöopathie, medizinischer Schriftsteller und Übersetzer; Naumann-Museum mit 1300 präparierten Vogelarten.
Nächste Station unserer Strassentour ist das Dorf Reppichau, ca. 12 km mit dem Auto auf der B 185. Hier begegnen wir dem Ritter und Rechtsgelehrten Eike von Repgow, den Schöpfer des bedeutendsten Rechtsbuchs des Mittelalters, des „Sachsenspiegels“. Ältestes größeres Sprachdenkmal in deutscher Prosa aus dem Jahr 1220. Sogar in 280 Versen gedichtet.
Beeindruckend in Reppichau: Das „Kunstprojekt Spegel der Sassen“ - ein ortsumfassendes Freilichtmuseum für mittelalterliche Rechtsgeschichte, einmalig in Deutschland. Neben den kunstbemalten Häuserwänden beeindrucken selbst die Straßenschilder.
Ergänzt haben die anerkannten Sprachpfleger ihre historischen Darstellungen im Rittersaal des Informationszentrums sowie im Kaisersaal. Hier berichtet uns Vereinsvorsitzender Erich Reichert vom komplizierten Neuanfang im Jahr 2000: „Wie überall gab es auch bei uns im Dorf einige Skeptiker. Wir haben aber mit Unterstützung des Landes schließlich dieses Bildungs- und Informationszentrum für deutsche und europäische mittelalterliche Rechtsgeschichte geschaffen. Heute ist Reppichau ein touristisches Kleinod in der reich beschenkten Kulturgeschichte unserer anhaltinischen Landschaft. Inzwischen beteiligen sich ausnahmslos alle Einwohner des alten Angerdorfes an dem Projekt“. www.reppichau.de
Interessante benachbarte Routen: Internationaler Europaradweg R 1, Urania-Route, Straße der deutschen Einheit, Lutherweg.
Unsere deutsche Sprachstraße führt mit einer 20-minütigen Fahrt weiter ostwärts nach Dessau-Roßlau zur Wissenschaftlichen Bibliothek der Anhaltischen Landesbücherei.
Im historischen Schulgebäude, dem Palais Dietrich, ist sie mit ca. 15.000 historischen Bänden untergebracht. Normalerweise. Wegen Grundsanierung des Palais sind die bibliophilen Schätze ausgelagert in den alten Wasserturm. Auch der Nachlass des Dessauer Philanthropinums, der Schule der Menschenfreundschaft von 1774. An der Schule, heute ein Gymnasium, wurde unter anderem eine reformierte, auf Klopstock zurückführende Orthografie eingeführt.
Archivleiter Dr. Frank Kreißler erläutert uns mehr: „Zur großen Sammlung historischer Originale gehören z. B. das Weltdokumentenerbe „Luthers Römerbrief-Vorlesung“, wertvolle Cranach-Bibeln, Basedows „Elementarwerk“ und Textvorlagen des in Dessau geborenen Dichters Wilhelm Müller. Zeitgenössische Höhepunkte von der Reformation über die Aufklärung bis zur Moderne sind im Museum für Stadtgeschichte zu besichtigen. Beleuchtet wird zudem die rund 800-jährige, an berühmten Persönlichkeiten reiche Kultur-Geschichte der Stadt Dessau und ihrer Region im alten Anhalt. Alles anerkanntes Weltdokumentenerbe. Erwähnenswert noch unsere einmalige Sammlung von 750 Künstlerbüchern“. https://bibliothek.dessau-rosslau.de/
Touristisch noch interessant: Bauhaus Museum, Schlösser, Gartenreich Wörlitz Weiter führt unser Kurs durch die Welterbe Region Anhalt-Dessau-Wittenberg in die Lutherstadt Wittenberg, die Stadt der Wiege der Reformation. Als Entstehungszentrum der hochdeutschen Schriftsprache durch Luthers Übersetzung des neuen und Alten Testaments in die deutsche Sprache, ist die Stadt an der Elbe reich an historischen Zeitzeugen.
Heute alles UNESCO-Stätten
Wir finden wie Perlen aneinandergereiht das Lutherhaus, das größte reformationsgeschichtliche Museum der Welt, das Wohnhaus von Philipp Melanchthon, dem „Lehrer Deutschlands“, die Universität Leucorea mit Sitz des Instituts für deutsche Deutsche und Kultur e. V.. Weiterhin die Stadtkirche mit dem berühmten Reformationsaltar, die Grundstücke des Hofmalers Lucas Cranach, mit den zahlreichen Künstler-Ateliers und der historischen Druckerwerkstatt.
Der absolute Höhepunkt des Rundgangs allerdings bleibt die Schlosskirche und ihre weltberühmte Tür mit den 95 Lutherthesen von 1517.
Auch abseits des Zentrums entdecken wir deutsche Sprachinsiginien, die Jahrhunderte überdauert haben. Wie lange noch?
Nächste Station auf der Sprachstraße ist Gräfenhainichen am Rande der Dübener Heide.
Hier erinnert die Sprachgesellschaft an den großen Sohn der Stadt, Paul Gerhardt. Neben Martin Luther der größte protestantische Kirchenliederdichter aller Zeiten. Aus seiner Feder stammen 139 Lieder und Gedichte, die in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges den Menschen Trost, Mut und Zuversicht gaben. Im Verlauf der Jahrhunderte fanden seine Verse, deren sprachliche Schönheit bis heute noch lebendig geblieben ist, Eingang in das Liedgut der weltweiten Christen.
Unser Stadtrundgang führt zur klassizistischen Paul-Gerhardt-Kapelle mit Ständiger Ausstellung, ins Paul-Gerhardt-Haus und zur Evangelischen Stadtkirche St. Marien. Auf das Wirken und die Bedeutung des begnadeten Dichters und Theologen will die Paul-Gerhardt-Gesellschaft aufmerksam machen. https://paul-gerhardt-gesellschaft.de/
Die große Initiatorin für die Bewahrung von Leben und Leistung des Dichters heißt Wilma Deißner.
Als Historikerin wirbt sie aktuell bei der jungen Generation ihrer Stadt für das geistliche Liedgut und veranstaltet z. B. Chorwettbewerbe. Dort erklingen dann solche schönen Gerhardt-Lieder wie “Befiehl du deine Wege”, “Nun ruhen alle Wälder” oder “Geh aus, mein Herz, und suche Freud”.
Mit Mühlbeck-Friedersdorf erleben wir Deutschlands erstes Buchdorf. Dieses Ziel erreichen wir auf der Fahrt gen Süden. Die Gemeinde ist seit 1997 charakterisiert durch Sammlung, Pflege und Verbreitung deutschsprachigen Schriftgutes. An sieben Standorten bestehen zehn Antiquariate, regelmäßig finden Autorenlesungen und andere kulturelle Veranstaltungen statt. Die Buchdorf Erlebniswelt bietet für jeden Leserwunsch die passende Erfüllung. Ob im Café KaffeeSatz, auf der Spielewiese, in den Antiquariaten Bücherconsum, Buch- und Kunst-Garten, Alte Schule oder Hören und Sehen. Die Bibliothekarin Bärbel Franz berichtet uns, dass sie als Antiquariat jetzt auch online sind. www.booklooker.de
Da gehen schon mal bis zu 1.500 Bücher pro Jahr auf die Reise. Ihre Gesellschaft erhalte auch viele Buchspenden. Das Besondere an Buchdörfern ist die Konzentration vieler, auf unterschiedliche Sachgebiete spezialisierter Antiquariate auf kleinem Raum.
Nach so viel Buch machen wir uns auf den Weg zur Muldestadt Grimma in Sachsen. Auch hier haben deutsche Literatur und deutsche Buchkunst geatmet. Hier ging Paul Gerhardt zur Fürsten-Schule St. Augustin, der Verleger Georg-Joachim Göschen gründete eine Druckerei und schuf sich seine eigene Idylle mit Gartenreich. Sein Anwesen, das Göschenhaus, wurde ab 1795 zum beliebten Treffpunkt u. a. von Schriftstellern, Künstlern und Verlegern, darunter auch Friedrich Schiller. Heute einziges Verleger-Museum Deutschlands.
Und schließlich: Der Schriftsteller Johann-Gottfried Seume begann von Grimma aus seinen „Spaziergang nach Syrakus“. Museumschef Thorsten Bolte hat ein umfangreiches Jahresprogramm parat, das sich auch an Schulkinder wendet: „Aktuell planen wir eine Sonderausstellung zum „Grimmaischen Wochenblatt“ das Göschen als erste Zeitung 1813 herausgab. Aktivieren wollen wir die inzwischen bei uns eingelagerten Werkzeuge der alten Druckerei, um die Kunst des Buchdruckes praktisch zu demonstrieren. Alle zwei Jahre ausgeschrieben wird von uns der Johann-Gottfried-Seume-Literaturpreis“. www.goeschenhaus.de
Touristisch noch interessant: Schöne Altstadt Grimma, Kreismuseum, Lutherweg. Als vorläufiges Endziel erreichen wir Meißen. Im Dom-Museum der Elbestadt platziert ist die SddS mit einer Ausstellung zur Entwicklung und Verbreitung der Meißner Kanzleisprache. Sie bildet seit dem 14. Jhrh. die Wurzeln der heutigen deutschen Hochsprache, derer sich schon Luther bediente, als er die Heilige Schrift ins Deutsche Übersetzte. Historische Kleinode der Ausstellung sind Originale von königlichen Urkunden und päpstlichen Rechtsakten mit Brief und Siegel. Aktiv einbezogen wird der Besucher an einem elektronischem Fenster. Hier kann er die Schreibweise deutscher Vornamen im Wandel der Jahrhunderte erkunden.
Mit Meißen verbunden sind auch die Dichter Lessing und Gellert, die hier die Fürstenschule besuchten. Heute bestimmen vielfältige Veranstaltungen der Stadt die Pflege der deutschen Sprache, u. a. das beliebte jährliche Literaturfest. Touristisch wertvoll: Albrechtsburg, Porzellanmanufaktur, Elberadweg. Die Strasse der Deutschen Sprache führt in Sachsen weiter über Kamenz bis Reichenbach im Vogtland und schließlich nach Thüringen und Bayern. Doch das bleibt einer weiteren Tour vorbehalten - Wenn es wieder heißt „Freie Fahrt für freie Bürger“.
ReiseTravel Service
Strasse der deutschen Sprache - Besuch und Besichtigung mit Anmeldung.
Ein Beitrag mit Fotos für ReiseTravel von Günter Knackfuß.
Freier Journalist in Berlin.
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