Aragon | Teruel und der Maestrazgo |
In dieser manchmal wie ausgestorben wirkenden Gegend sind Touristen rar
Wo die Stille spricht: Trutzburgen gleich ragen Felsplateaus auf und verwandeln die Landschaft in eine einzigartige Festung. Aus losen Steinen aufgeschichtete Mäuerchen schützen die Felder und das, was zur Selbstversorgung angebaut wird: Getreide, Kartoffel, Tomaten. Mittelalterliche Dörfer, ummantelt von uneinnehmbaren Mauern, thronen kess und unanfechtbar auf Bergkuppen, schmiegen sich Schutz suchend an die Felswände oder ducken sich zwischen tiefe Schluchten. Die herbe Landschaft Süd-Aragoniens spiegelt ein ganz anderes Spanien, fernab der Welt, ja am Ende der Welt, möchte man auf den ersten Blick meinen.
Von den Pyrenäen und der Grenze zu Frankreich und der durch die Stierkämpfe bekannten spanischen Stadt Pamplona zieht sich die Autonome Region Aragón etwa 50 Kilometer von der Mittelmeerküste entfernt durch das Landesinnere bis zur Höhe von Castellón de la Plana, nördlich von Valencia. Die südlichste der drei Provinzen Aragoniens ist Teruel mit dem Maestrazgo-Gebirge: über 2.000 Meter hohe Berge, spektakuläre Schluchten, bizarre Felswände wie die Órganos de Montoro, die Pfeifen einer gigantischen Orgel ähneln und fantasievolle Betrachter einladen, den Organisten zu suchen. Er sitzt da. Man findet ihn!
Maestrazgo
In dieser manchmal wie ausgestorben wirkenden Gegend sind Touristen rar, doch von den Einwohnern freundlich begrüßt: „Hola! Qué tal?“ Guten Tag, wie geht`s? Wer auch nur ein paar Brocken Spanisch spricht, wird gleich in ein Gespräch verwickelt. Wenige Besucher, und doch sind ihre Unterkünfte äußerst nobel. Wer sich im Husa-Hotel in La Iglesuela del Cid (Deutsch: Das Kirchlein des Herrn) einmietet, einem 500-Seelen-Dorf auf 1.227 Höhenmetern, schläft in einem Renaissance-Palast vom Feinsten: der Fußboden in der Eingangshalle wie eh und je mit rundgewaschenen und zu Mustern gestalteten Flusssteinen gefliest, der Treppenaufgang original erhalten, überall kostbare Dekorationsstücke, an denen sich offenbar niemand vergreift. Das Dorf war ehemals Sitz des Templerordens, der es von den Mauren zurückeroberte. Schafwollhandel mit Venedig hatte es reich gemacht. Das zeigte man gern nach außen: Auf der einen Straßenseite wohnte die Herrschaft, auf der anderen die Bediensteten.
Der Marienmonat Mai bringt mit Wallfahrten und Prozessionen Leben in die religiös geprägten Dörfer. Aber wozu die überall aufgestellten Eisengitter? Das erklärt der Reiseführer: Bei den legendären Stierrennen während der „Fiestas“ dienen sie als Fluchtpunkt, will man nicht aufgespießt werden. Es wäre zu aufwendig, sie zu entfernen. Zu zahlreich sind die Feste, bei denen neben Hunderten von Tieren jeweils ein Stier mit zwei Feuerkugeln auf den Hörnern durch die Nacht läuft. Die „Fiestas“ finden im Juli und August zum Gedenken an den Schutzpatron statt. Tierschützern sei gesagt, der „toro“ ist vor Verbrennungen geschützt. Dennoch eine für viele unverständliche spanische Eigenart. Aber alles ganz unblutig, weniger spektakulär als in Pamplona, der Stier gehört zu den Volksfesten wie anderswo die Schießbuden.
Auch im 150 Einwohner zählenden, von zwei Stadtmauern mit fünf Toren umschlossenen Mirambel haben die Templer und später die Johanniter ihre Spuren hinterlassen. Für seine perfekte Restauration wurde das Dorf 1983 mit dem Preis „Europa Nostra“ ausgezeichnet, von Königin Sofia höchstpersönlich überreicht. Schafherden und Einsiedeleien wie die Ermita de San Roque charakterisieren die Landschaft.
Das sich beeindruckend zwischen zwei steile Felswände drückende Cantavieja spielte als uneinnehmbares Quartier von General Ramón Cabrera in den Karlisten-Kriegen (1834-40) eine Rolle. Hauptattraktion von Molinos ist die 138 Stufen hoch gelegene „Gruta de Cristal“, eine Grotte mit außergewöhnlichen Tropfstein-Gebilden auf kleinstem Raum. Da bestaunt man Heiligenfiguren, Maria mit dem Jesuskind, eine Hochzeitstorte samt Brautpaar auf der Spitze und eine Unterwasserwelt mit schönsten Seeanemonen.
Fährt man weiter, vorbei an den Orgelpfeifen von Montoro, kommt man nach Villarluengo, das für seine Forellen berühmt ist, aber auch für den Schinken von Teruel. Die Luft im Maestrazgo ist ideal zum Trocknen der Schinken, und beinahe jeder Ort besitzt eine „Secadero de Jamones“, eine Schinkentrocknerei. Hauchdünn geschnittene Scheiben liegen mittags und abends auf den Tapas-Tellern der Restaurants und zergehen auf der Zunge. Aus der Region stammt auch der Käse von Tronchón, den schon der Dichter Cervantes lobend erwähnte, und der echte Reizker (robellón), der unter Pinien nur in Aragón wachse. Nicht zu vergessen die edlen Weine mit den Ursprungsbezeichnungen Calatayud, Carinena und Borja.
Erreicht man das Dörfchen Pitarque, sollte man das Auto parken und zu einer pittoresken Wanderung aufbrechen. Entlang des gleichnamigen Flusses bis zu seiner Quelle, vorbei an Wasserfällen und wild zerklüfteten Felswänden, muss man hin und zurück vier Stunden einplanen.
Ein weiteres Wunder bietet Galve. Hier sind Dinosaurier-Spuren in den Felsen zu sehen. Ihr Skelett und viele einzelne Knochen zeigt das Museum. Im Zeichen des Stiers steht auch die Provinzhauptstadt Teruel. Ein kleiner Stier, „el torico“, schmückt gar den Brunnen auf der Plaza Mayor. Die „Fiestas de la Vaquilla del Ángel“, zu Ehren des Schutzpatrons Santo Angel jeweils am zweiten Sonntag im Juli gefeiert, gehen zurück auf die legendäre Gründung der Stadt: Ein mutiger Stier war es, der den aragonesischen Rittern unter Alfons II. von Aragonien im Jahre 1.171 half, die Stadt aus der Mauren-Herrschaft zurückzuerobern. Fürderhin jedoch lebten Mauren und Christen friedlich nebeneinander, und Letztere profitierten von den schöpferischen Fähigkeiten der Mauren. Denn sie verzierten Backsteinbauten mit bunt glasierter Keramik, auf Dächern und an Wänden, mal zu spitzen, mal zu runden Bögen geformt. Dieser Mudéjarstil genannte Schmuck gibt den vier Türmen der Stadt aus dem 13. und 14. Jahrhundert eine verspielte Heiterkeit, ja selbst der Kathedrale. Sie hat zudem eine so schön bemalte Kassetten-Decke, dass einer der Bischöfe einen Balkonumgang bauen ließ, auf dass Kirchgänger sie aus nächster Nähe betrachten können.
Teruel ist aber auch die Stadt der Liebenden. Einer Überlieferung zufolge waren im 13. Jahrhundert Diego de Marcilla und Isabel de Segura einander sehr zugetan. Doch als Zweitgeborener ohne Vermögen wird Diego als Bräutigam zurückgewiesen. Es sei denn, er bringe es innerhalb von fünf Jahren zu Ansehen und Reichtum. Doch just bei seiner erfolgreichen Rückkehr wird die Geliebte mit einem anderen vermählt. Weil sie Diego einen Kuss verweigert, stirbt der Jüngling an Liebeskummer. Bei der Totenmesse wirft sich eine schwarz gekleidete Frau über den Leichnam, küsst ihn und - stirbt. Im Tod nun sind „die Liebenden von Teruel“ vereint. Aus weißem Alabaster geformt ruhen sie auf einem Sarkophag, aus dessen Innerem ihre Mumien schwach beleuchtet heraus schimmern. Juan de Avalos schuf eigens ein Mausoleum dafür. Jedes Jahr am zweiten Wochenende im Februar, gedenkt man ihrer in einer grandiosen mittelalterlichen „Hochzeit“, „Bodas de Isabel de Segura“, an der alle Einwohner, entsprechend gewandet, teilhaben. www.spain.info
Ein Beitrag mit Foto für ReiseTravel von Elke Backert.
Unsere Autorin ist freie Reisejournalistin und lebt in Hamburg. www.elkebackert.de
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