Stettin

Das maritime Szczecin zwischen Tradition und Moderne

Immer mehr Brandenburger und Berliner und darüber hinaus auch zunehmend Touristen aus ganz Deutschland entdecken Szczecin (deutsch Stettin) als Reise- und Urlaubsziel. Denn es ist eine außergewöhnliche boomende Stadt im Oderhaff.

Blick von der Jacobikirche auf Stettin

Stettin Szczecin Blick von der Jacobikirche

In seiner schillernden reichen Geschichte fiel es in polnische, dänische, schwedische und preußische Hände, historische Gebäude und Denkmäler zeugen davon. Die Stadt war zu Zeiten Napoleons sogar einige Jahre französische Festung. Und es zeugt von multikultureller Souveränität und polnischem Selbstbewusstsein, den polnischen und deutschen Städtenamen Szczecin und Stettin nahezu gleichberechtigt zu nutzen und nicht nur in Werbebroschüren für deutsche Gäste. Am Ende des Zweiten Weltkrieges war Stettin zu Zweidrittel zerstört - eine Ruinenstadt. Nun ist sie wie Phönix aus der Asche wieder erstanden und verbindet das historisch-traditionell Alte mit dem modernen Neuen auf wunderbare Weise. Wegen der im 19. Jahrhundert gebauten sternförmigen Plätze und breiten Alleen wird Stettin von manchen Touristikern sogar euphorisch als „Paris des Nordens“ bezeichnet.

Faszinierendere Platz in der Altstadt

Es gibt wohl nur wenige Plätze in der 400.000 Einwohner-Stadt, in der sich Geschichte und Neuzeit so präsentieren wie in diesem erst Anfang Juli dieses Jahres eröffneten Ibis-Style Hotel aus der Accor-Hotel-Gruppe. Es ist seine Lage in der Altstadt, die fasziniert. Nur um die Ecke, wenige hundert Meter entfernt, erhebt sich umgeben von engen Gassen das Schloss der Pommerschen Herzöge. Nur ein paar Dutzend Meter entfernt, befindet sich der Heumarkt mit dem Alten Rathaus und zwei imposanten Giebelhäusern. Diese Häuser wurden erst in den 90er Jahren liebevoll restauriert und bieten den davor platzierten Bier- und Restaurantgärten eine beeindruckende Kulisse.

Vor dem Alten Rathaus steht eine der berühmten Szczeciner Straßenpumpen, auch „Berlinkas“ genannt, weil sie den Berliner Wasserpumpen ähneln, und statt eines Bären am Fuß einen Stettiner Greifen haben. Es gibt noch 123 Pumpen im Stadtgebiet, viele von ihnen sind aus Gusseisen, 28 wurden in den Rang eines Denkmales erhoben. Sie sind jede für sich ein kleines Kunstwerk, mit gerillter Säule, mit dem Stadtwappen unten und einer Krone oben. Und das Wasser fließt aus einem Speier in Form eines Drachenkopfes.

Zwischen dem Hotelgebäude und dem Altem Rathaus sind hinter einem Bauzaun derzeit Archäologen damit beschäftigt, die Fundamente der Nikolai-Kirche auszugraben, einer Steinkirche aus dem 13. Jahrhundert.

Stettin Szczecin Renaissance Schloss

Das Renaissance-Schloss der Pommerschen Herzöge

Geradezu eine Pflichtveranstaltung für alle, die nach Stettin kommen, ist der Besuch des Schlosses der Pommerschen Herzöge. Das Schloss hat über die Jahrhunderte eine Reihe von Umbauten erlebt. Beim Wiederaufbau entschieden sich die polnischen Architekten, es im Stil der italienischen Renaissance zu erstellen, als eine Referenz an die Blütezeit des Herzogtums der Pommern, erläutert unser Guide Przemyslaw Jackowski. Heute ist hier neben einem Museum und Kunstgalerien auch die Oper der Stadt eingezogen. Eine Sehenswürdigkeit im wahrsten Sinn des Wortes ist die Turm-Uhr aus der Zeit der Schweden-Herrschaft Ende des 17. Jahrhunderts. Die sieben Meter hohe Uhr mit pommerschem Wappengreif und schwedischem Löwen schlägt zu jeder vollen Stunde und informiert über Monatstage und Mondviertel. Mittig auf dem Uhrenblatt prangt das Antlitz eines Hofnarren, der mit seinen Augen den Stundenzeiger verfolgt und das aktuelle Datum im Mund anzeigt.

Im Schloss wird auch eine spannende Geschichte der Gastronomie erzählt. Eine frühere Kantine im Schloss stieg vor 26 Jahren zu einem kultigen Restaurant auf mit dem skurrilen Namen „Na Kuncu Korytarza“ (Am Ende des Korridors). Der Restaurant-Chef Bolek Sobolewsky serviert nicht nur einen Augenschmaus von seinen poppig ausgestalteten und mit Unterschriften von Prominenten verzierten Wänden. Hier kann der Gast in der regionalen Küche der Ostseeküste schwelgen, von der Ente bis zur Zandersuppe. Die Spezialität sind allerdings Heringsgerichte in unzähligen Variationen, meist finden sich mindestens ein Dutzend (!) auf der Speisekarte.

Erfolgreiche Heirats-Diplomatie

An der Schlossstraße nahe dem Pommernschloss steht eine Statue von Herzog Bogislaw X. und Anna von Polen (polnisch: Anna Jagiellonka), die 1491 in Szczecin heirateten. Bereits im Jahr zuvor hatte Bogislaw X., der Pommern schon früher durch geschickte Heiratspolitik geeint hatte, den Neubau des Schlosses als Hochzeitsgeschenk für die gerade 14-jährige Anna in Auftrag gegeben. Trotz oder wegen des großen Altersunterschiedes von 25 Jahren führten sie, so zitiert unser Guide Jackowski Berichte von Historikern, eine sehr glückliche Ehe. Die Statue ist eine unverzichtbare Station bei Stadtführungen und zeigt, wie erfolgreich Heirats-Diplomatie in der Politik auch in Osteuropa sein kann.

Die multizentrische Stadt mit ihren breiten Straßen und einer weiten Ausdehnung besitzt durchaus auch ein typisches Innenstadt-Zentrum. Das könnte die große Kreuzung sein, auf der das Historische und das Neue und Moderne auf ein Bild passen: Das historische barocke Stadttor, in dem unter anderem ein attraktives Café eingerichtet ist und ein moderner Gebäudekomplex mit verglaster Außenfassade, der ein Marriott-Hotel und Büros beherbergt.

Philharmonie - Meisterleistung der Architekten

Wer in der Innenstadt von Stettin unterwegs ist, trifft unweigerlich auf eine mit dicken roten Strichen gezogene Linie. Das ist die vor zehn Jahren von den Touristik-Managern entworfene Touristische Stadtroute. Ausgangspunkt und Endpunkt mit etwa 50 Stationen ist der Hauptbahnhof.

Die Strecke umfasst insgesamt vier Kilometer und ist mit einer nummerierten dazugehörigen Skizze der Stadt und Erklärungen gut handhabbar. Selbstverständlich ist auch die im Jahr 2015 eröffnete Philharmonie eine Station auf der Besucher-Tour. Sie ist der Stolz der Einwohner. Denn sie bietet den anspruchsvollsten Musikliebhabern ein herausragendes Hörerlebnis. Neben klassischen Konzerten und Opernmusik hat hier auch der Swing und der Jazz eine Bühne. Zugleich erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen für das interessanteste architektonische Werk in Europa. So gewann der von einem italienisch-spanischen Architekturbüro aus Barcelona entworfene Bau den Mies-van-der-Rohe-Preis des Jahres 2014.

Rekordverdächtig ist außerdem der Kostenrahmen für den Bau mit insgesamt 25 Millionen Euro und der Ticket-Preis liegt im Durchschnitt umgerechnet bei zehn Euro, also Kulturangebot für jedermann. Im Vergleich dazu beliefen sich die Kosten für die Elb-Philharmonie in Hamburg auf 866 Millionen Euro – das ist höchst „Preis“-verdächtig und über die Eintrittspreise breiten wir im Vergleich zu Stettin schamhaft den Mantel des Schweigens.

Polnischer Alltag zu besichtigen

Ebenfalls nicht auf dem Tour-Programm, aber ein heißer Anwärter dafür, aufgenommen zu werden, ist das erst vor einigen Monaten neu eröffnete Museum über den polnischen Alltag. Ein weitverbreitetes Mosaik begrüßt die Besucher. Der Zeitrahmen wird durch die Abkürzung vorgegeben: PRL für Polnische Volksrepublik. Das private Museum wird von Marzenna Salamon betrieben, der Tochter eines bekannten Fotografen in Stettin. Der nutzte in seiner Galerie-Wohnung viele kleine Räume für Ausstellungen, die nunmehr nach sechs Jahren Sammlung und Sichtung mit unzähligen Exponaten des Alltags einen Spaziergang durch die jüngere Geschichte von Polen erlauben. Englisch- und deutschsprachige Texttafeln signalisieren, dass auch Touristen erwartet werden.

Stettin Szczecin

Stoewer-Autos im Straßenbahn-Depot

Das Technikmuseum von Stettin hat sich ohne Übertreibung in knapp 20 Jahren zu einer einzigartigen Sehenswürdigkeit der Sammlung der Automobil- und Industriegeschichte entwickelt. Die Geburtsstunde schlug, als ein ausgedientes Straßenbahn-Depot mit großen Hallen der Stadt Stettin einen Platz für großräumige Technik bot. hinzukam, dass ein in Stettin geborener Sammler und Museumsmacher aus Hessen seiner Heimat-Stadt 900 Exponate seines Stoewer-Museums verkaufte, darunter restaurierte historische Autos, Fahrräder, Schreib- und Nähmaschinen. Jetzt haben sie in Szczecin einen würdigen Platz gefunden im Rahmen einer vielfältigen Sammlung polnischer Verkehrstechnik von Autos und Bussen bis zu Straßenbahnen. Lange Jahre waren die edlen Automobile der Stettiner Stoewer-Werke in Vergessenheit geraten. Der Reiz dieses Museums besteht gerade darin, dass es nicht allein und ausschließlich etwas für Technik-Interessierte bietet. Es erzählt mit vielen ansprechenden Exponaten und Details die Geschichte der berühmtesten Stettiner Fabrikantenfamilie über mehrere Generationen. Die Erfolgsgeschichte begann mit Nähmaschinen, setzte sich mit Schreibmaschinen fort, dann baute Stoewer Fahrräder und Motorräder schließlich edle Autokarossen.

Motorengeräusch auf Knopfdruck

Bei einem Rundgang kann Direktor Stanislaw Horoszko zu vielen von seinen Exponaten teilweise unglaublich spannende und erheiternde Geschichten erzählen. Überall trifft der Besucher auf Kreatives. Er kann beispielsweise per Knopfdruck bei vielen Autos für einige Sekunden das Motorengeräusch anschalten. In den 80er Jahren hatte die Stadt Stettin von ihrer Partnerstadt in Westdeutschland gut erhaltene Straßenbahnen bekommen. Die Stettiner verpassten ihnen als Spitznamen den Vornamen des damaligen Bundeskanzlers Kohl. So wird auch eine Helmut Straßenbahn ausgestellt. http://de.muzeumtechniki.eu/

Stettin als schwimmender Garten

Die Stadt Szczecin kann sich mit einem besonderen Titel schmücken. Sie ist mit Abstand die grünste Stadt in Polen. Drei große Waldregionen umgeben Szczecin, die Buch-, die Gollnower- und die Ueckermünder Heide. Sie reichen teilweise bis ins Zentrum der Stadt, durch die die Oder fließt und ihr östlicher Arm, die Regalica. Der Boulevard an der Oder lädt zum Spaziergang ein, vorbei an dem bekanntesten Bauensemble der Stadt Stettin, Waly Chrobrego, den Haken-Terrassen. Sie entstanden um das Jahr 1900 zusammen mit dem dahinterliegenden Museum und sind nach dem damaligen Oberbürgermeister der Stadt benannt.

Die Oder mündet noch im Stadtgebiet in Polens viertgrößten Binnensee. Das Grün allerorten unterstreicht das Konzept des Stadtgartens Ende des 19. Jahrhunderts. Mehr als die Hälfte der Stadtfläche ist von Wasser und Grünanlagen bedeckt. Aus der Vogelperspektive erscheint die Stadt wie ein großer schwimmender Garten.

Die Reise nach Szczecin wurde vom Polnischen Fremdenverkehrsamt organisiert.

Ein Beitrag mit Fotos für ReiseTravel von Ronald Keusch.

Ronald KeuschUnser Autor ist freier Journalist mit dem Schwerpunkt Tourismus, er lebt und arbeitet in Berlin.   
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