Peter Bofinger | Bitcoin - Liebling auf Abruf |
Viele betrachten den Bitcoin als digitales Gold. Doch so einzigartig ist er nicht. Andere Kryptowährungen könnten ihn vom Thron stoßen
Der starke Kursanstieg des Bitcoin seit Herbst 2020 hat das öffentliche Interesse an der Kryptowährung neu entfacht. Doch ein massiver Kurseinbruch nach dem Höchststand am 8. Januar und die nachfolgende Erholung belegen, welchen Schwankungen eine solche Investition unterliegt. Niemand kann vorhersagen, in welche Richtung sich der Kurs des Bitcoin bewegen wird. Das liegt schlicht daran, dass sich Spekulationen immer um Erwartungen drehen. Konkret bedeutet das: Jeder, der heute Bitcoin kauft, muss erwägen, welche Erwartungen andere Investoren haben, und auch diese müssen sich die Frage nach den Erwartungen anderer Investoren stellen.
John Maynard Keynes, der nicht nur ein begnadeter Ökonom, sondern auch ein leidenschaftlicher Spekulant war, erklärte diese Dynamik in seinem klassischen Buch aus dem Jahr 1936 „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ anhand der präfeministischen Analogie eines Schönheitswettbewerbs. Damals richteten Zeitungen Wettbewerbe aus, in denen die Leserschaft unter den Frauengesichtern das mutmaßlich hübscheste auswählen sollte. Man hatte nur eine Chance auf den Gewinn, wenn man sich für das Gesicht entschied, das die meisten Stimmen erhielt:
„Es handelt sich nicht darum, jene auszuwählen, die nach dem eigenen Urteil wirklich die Hübschesten sind, ja sogar nicht einmal jene, welche die durchschnittliche Meinung wirklich als die hübscheste betrachtet. Wir haben den dritten Grad erreicht, wo wir unsere Intelligenz der Vorwegnahme dessen Widmen, was die durchschnittliche Meinung als das Ergebnis der durchschnittlichen Meinung erwartet. Und ich glaube, dass es sogar einige gibt, welche den vierten, fünften und noch höhere Grade ausüben.“
Wer heute Bitcoin kauft, sollte wissen, worum es sich dabei handelt. Viele betrachten Bitcoin als digitales Gold. Aber ist das wirklich ein passender Vergleich?
Die Geschichte des Finanzwesens lehrt uns, dass solche Prozesse zu ausgesprochenen Kursblasen führen können. Wenn sie platzen, können sie den vollständigen Verlust nach sich ziehen. Wer heute Bitcoin kauft, sollte wissen, worum es sich dabei handelt. Viele betrachten Bitcoin als digitales Gold. Aber ist das wirklich ein passender Vergleich? Die Mechanismen der privaten Geldproduktion, die auf den ersten Blick sehr komplex sind, lassen sich an einem einfachen Beispiel illustrieren: Mr. Smith beschließt, in den Währungsmarkt einzusteigen. Er druckt eine Million Scheine mit der Aufschrift „100 Valuecoin“. Auf der Rückseite steht ausdrücklich, dass der Besitzer eines solchen Geldscheins keine rechtlichen Ansprüche gegen Mr. Smith hat.
Nun versucht Mr. Smith, seine Geldscheine gegen Euro zu verkaufen. Er beginnt mit einem Wechselkurs von 1:1. Aber warum sollte jemand 100 Euro ausgeben für ein Stück Papier ohne inneren Geldwert und ohne jedes Versprechen? Mr. Smith verweist auf das Beispiel Bitcoin, bei dem die Geldmenge auch begrenzt ist. Für staatliche Währungen gibt es dagegen keine Höchstgrenze. Der Valuecoin könnte so den Vorteil haben, gegenüber offiziellem Geld an Wert zu gewinnen, wie es beim Bitcoin der Fall ist. 100 Valuecoin könnten bald deutlich mehr wert sein als 100 Euro.
Man könnte sich nun fragen, warum nur Mr. Smith das Privileg haben sollte, Geld aus dem Nichts zu kreieren. Auch hier kommt das Modell des Bitcoin zum Tragen. Mr. Smith beschließt, nicht alle Geldscheine auf einmal in Umlauf zu bringen, sondern für die Ausgabe des Valuecoin einen Mechanismus einzurichten, damit die Geldmenge nur allmählich zunimmt.
Außenstehende können ein Konto im Valuecoin-Abrechnungssystem eröffnen, indem sie den Würfelspielern Valuecoins mit Euro abkaufen. Damit ist das private Geldsystem vollständig
Zu diesem Zweck veranstaltet er einmal in der Woche ein Würfelspiel mit seinen Freunden. Immer, wenn ein Spieler mit vier Würfeln einen Einser-Pasch erzielt, erhält er 100 Scheine. Damit die Scheine nicht allzu schnell in Umlauf kommen, wird der Gewinn für einen erfolgreichen Wurf mit der Zeit gesenkt. Nach dem ersten Jahr erhalten die Spieler nur noch 50 Scheine für einen erfolgreichen Wurf, danach sinkt der Betrag weiter.
Zusätzlich wird, wenn besonders viele Spielerinnen und Spieler mitmachen, der Schwierigkeitsgrad erhöht. Dann muss nicht mehr mit vier Würfeln, sondern mit fünf ein Einser-Pasch gewürfelt werden. Je mehr Interessenten an dem Würfelspiel teilnehmen, desto schwieriger wird es für sie, neue Valuecoins zu erschaffen. Ähnlich läuft die Ausgabe des Bitcoin („Mining“); hier ist der Schwierigkeitsgrad vom Faktor 1 im Jahr 2009, als Bitcoin an den Start ging, auf etwa einen Faktor von 20 000 Billionen angestiegen. Das heißt, der Initiator erzielte durch das Mining von Bitcoins in den ersten Jahren gewaltige Gewinne.
Mr. Smith geht davon aus, dass die Kenntnis eines solchen Mechanismus, der zusätzlich zur festgelegten Höchstmenge auch eine graduelle Vermehrung von Valuecoins garantiert, die Attraktivität seiner Privatwährung hebt. Dieser Mechanismus sorgt dafür, dass nicht nur Mr. Smith vom Tausch wertloser Scheine gegen staatliches Geld profitiert. Er bringt den Gewinn auch unter die Leute, nämlich die Mitspielerinnen und Mitspieler, die durch tüchtiges Würfeln Valuecoin-Scheine erwerben können.
Das entspricht dem Bitcoin-Modell, in dem die „Miner“ hochkomplexe Aufgaben lösen müssen, für die eine gigantische Rechenleistung mit einem hohen Stromverbrauch nötig ist. Da man zu Beginn leichter an Valuecoin-Scheine herankommt, sind diejenigen, die von Anfang an dabei sind, im Vorteil. Besonders profitiert natürlich Mr. Smith als Initiator des Systems.
Grundsätzlich ändert sich an dem bislang beschriebenen Mechanismus nicht viel, wenn Mr. Smith sein Geld nicht in Form gedruckter Scheine ausgibt, sondern digital über Konten. Er richtet ein zentralisiertes Valuecoin-Abrechnungssystem ein, in dem alle Valuecoin-Inhaber ein Konto haben. Nach einem erfolgreichen Wurf erhalten sie keine Scheine, sondern die Valuecoins werden in Mr. Smiths Verrechnungssystem dem Konto des Mitspielers gutgeschrieben.
Außenstehende können ein Konto im Valuecoin-Abrechnungssystem eröffnen, indem sie den Würfelspielern Valuecoins mit Euro abkaufen. Damit ist das private Geldsystem vollständig. Jetzt können zwischen den Kontoinhabern auch digitale Überweisungen getätigt werden. Nun, da das gesamte System digitalisiert ist, werden die Würfelspielabende eingestellt. Jetzt kann man Valuecoin-Guthaben aufbauen, indem man am Online-Spiel teilnimmt.
Es kann deshalb jederzeit passieren, dass eine andere Kryptowährung mit besserer Technologie zum Liebling der Investoren wird und den alternden Bitcoin verdrängt
An dieser Stelle unterscheidet sich Mr. Smiths Valuecoin vom Bitcoin nur noch durch das von ihm verwaltete zentrale Abrechnungssystem. Bitcoin verwendet stattdessen ein dezentrales Kontobuchsystem, ein sogenanntes Distributed Ledger. Hier gibt es keine zentrale Verwaltung mehr. Vielmehr können grundsätzlich alle Beteiligten Buchungen im Kassenbuch vornehmen. Diejenigen mit einer besseren Rechenleistung sind allerdings im Vorteil, da sie mutmaßlich in der Lage sind, mehr Aufgaben zu lösen, also mehr „Proof of Work“ zu leisten, ähnlich dem Würfeln bei Valuecoin.
Damit verschwindet der Organisator hinter dem System, das er geschaffen hat. Für Außenseiter ist es nicht mehr ersichtlich, dass Mr. Smith der Urheber von Valuecoin ist. Nach seiner ökonomischen Logik ist Bitcoin nichts anderes als Valuecoin. Der einzige Unterschied liegt darin, dass Bitcoin nicht in einem transparenten Würfelspiel ausgegeben werden, sondern in einem komplexen, extrem energieintensiven Prozess. Auch hier hat der Inhaber keinen Anspruch gegenüber dem Emittenten, der in diesem Spiel der große Gewinner ist. Auch wenn er sich an der Ausgabe beteiligt, ist er privilegiert, weil es für ihn am Anfang besonders einfach ist, in den Besitz der Coins zu gelangen.
Häufig hört man, dass auch die Inhaber einer Euro-Banknote kein Anrecht darauf haben, die Banknote zum Nennwert einzulösen. Doch Banknoten sind ein gesetzliches Zahlungsmittel, und die Europäische Zentralbank hat ein Monopol für die Ausgabe, wohingegen der Bitcoin in einem zunehmend härter werdenden Wettbewerb mit etwa 8 000 Kryptowährungen steht. Es kann deshalb jederzeit passieren, dass eine andere Kryptowährung mit besserer Technologie zum Liebling der Investoren wird und den alternden Bitcoin verdrängt.
Der Wettbewerbsdruck vonseiten neuer Emittenten unterscheidet den Bitcoin auch von Edelmetallen, besonders Gold, dessen Sonderstellung nicht durch das plötzliche Auftauchen eines neuen chemischen Elements in Gefahr geraten könnte. Dass der Bitcoin kein Alleinstellungsmerkmal hat, ist seine Achillesferse. Zum physischen Gold gibt es keine Alternative, doch den Bitcoin könnten andere Kryptowährungen früher oder später vom Thron stoßen.
Ein Beitrag von Peter Bofinger. Dieser Artikel ist eine gemeinsame Veröffentlichung von Social Europe und dem IPG-Journal. Aus dem Englischen von Anne Emmert.
Peter Bofinger lehrt an der Universität Würzburg als Professor für Volkswirtschaftslehre. Von März 2004 bis Ende Februar 2019 war er Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
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