Dr. Maria Skóra

Polens Regierung fährt eine harte Linie gegen Deutschland: Stecken die deutsch-polnischen Beziehungen in der Sackgasse?

In Deutschland wird derzeit ein neues Kapitel aufgeschlagen. Die Ära Merkel ist nach 16 Jahren beendet und die progressive Ampelkoalition bringt frischen Wind in die deutsche Politik. Die neue Regierung steht dabei allerdings vor alten, ungelösten Herausforderungen. Eine davon ist sicherlich die stürmische Beziehung Deutschlands mit seinem östlichen Nachbarn Polen.

Die polnisch-deutsche Nachbarschaftsbeziehung war nie leicht. Der von Willy Brandt und Egon Bahr begonnene Aussöhnungsprozess war langwierig und mühsam. Er führte schließlich zum historischen Deutsch-Polnischen Nachbarschaftsvertrag.

Deutschland war ein starker Befürworter des polnischen Beitritts zur NATO und zur EU, was die deutsch-polnischen Beziehungen auf eine neue Ebene hob. 2011 wurde der deutsche Arbeitsmarkt vollständig für Polinnen und Polen geöffnet. In der Folge blühten die wirtschaftlichen Beziehungen auf. Die beiden Länder rückten immer näher zusammen.

In beiden Ländern sind die Bürgerinnen und Bürger inzwischen mehrheitlich davon überzeugt, dass es um die bilateralen Beziehungen gut steht.

Stresstest Polens

Während der letzten zwei Jahrzehnte haben die Nachbarn begonnen, sich gegenseitig positiver wahrzunehmen. In beiden Ländern sind die Bürgerinnen und Bürger inzwischen mehrheitlich davon überzeugt, dass es um die bilateralen Beziehungen gut steht. Die historische Feindseligkeit schien endgültig überwunden. Die Aussöhnung war so erfolgreich, dass manche sogar darüber nachdachten, dass Polen in der deutschen Europa-Politik an die Stelle Frankreichs treten könnte, oder dass zumindest das deutsch-französische Tandem zu einem Führungstrio erweitert werden sollte. Aber nicht nur das „Weimarer Dreieck“, das verkümmernde Konsultationsforum Deutschlands, Frankreichs und Polens, scheint aus der Zeit gefallen. Vieles hat sich verändert, seit 2016 die rechtskonservative PiS-Partei die polnische Regierung übernahm. Die Flitterwochen sind vorbei.

Die Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen ist turbulent und reicht weiter zurück als bis zum Zweiten Weltkrieg. Preußen spielte eine wichtige Rolle beim Zerfall der Adelsrepublik Polen-Litauen im späten 18. Jahrhundert. Der große Krieg gegen den Deutschen Orden im Mittelalter ist zu einem lebendigen Symbol der modernen polnischen Kultur geworden – zu einer Metapher für die ewige Bedrohung durch den deutschen Nachbarn. Dieser Topos ist, wenn auch latent, doch tief im kollektiven Gedächtnis Polens verankert. Dies zu erkennen ist entscheidend dafür zu verstehen, wie leicht er – ohne jedwede rationalen Voraussetzungen oder legitimen Gründe – aktiviert werden kann.

Die Flitterwochen sind, vorbei seit die rechtskonservative PiS-Partei 2016 die polnische Regierung übernommen hat.

Die Spin-Doktoren der PiS haben diese anti-deutsche Stimmung schon mehrfach als Waffe eingesetzt. 2005 sah sich der damalige Präsidentschaftskandidat Donald Tusk mit dem Vorwurf konfrontiert, sein Großvater sei ein Wehrmachtssoldat gewesen. Dies belastete seinen Wahlkampf schwer – zum Vorteil seines Rivalen, Lech Kaczyński. Damals wurde der Urheber dieser Anschuldigung noch mit Schimpf und Schande entlassen. Ein Jahrzehnt später wurde er unter der Regierung von Zwillingsbruder Jarosław Kaczyński zum Geschäftsführer des öffentlichen polnischen Senders TVP ernannt.

Heute vergeht kein Tag ohne scharfe Kritik an Deutschland in den öffentlichen Medien Polens. „Deutschland ist neidisch auf Polens wirtschaftlichen Erfolg“, „Brüssel, Berlin und die Opposition verschwören sich gegen Polen“, „Die Opposition und Deutschland wollen Polen bestrafen“. Dies sind nur ein paar Beispiele für Schlagzeilen, die die Regierung in Berlin verteufeln.

Diese Hexenjagd mag plump erscheinen. Aber sie zeigt, dass die polnische Regierung Feinde braucht, um ihren Rückhalt in der Bevölkerung zu sichern. Und um gegebenenfalls Misserfolge zu rechtfertigen, vor allem auf internationalem Gebiet. Bei einigen Wählergruppen scheint diese Strategie aufzugehen. Gleichzeitig entwickelt Jarosław Kaczyński eine andere Rhetorik für gebildetere Zuhörerinnen und Zuhörer. Beim „Warschauer Gipfel“, einem Treffen europäischer Rechtsextremer im Dezember 2021, stellte er sein geopolitisches Konzept vor, eine große Erzählung zur Zukunft der Europäischen Union. Er warnte nicht nur vor einem durch „politische Korrektheit“ geschwächten Europa und vor europäischen Institutionen, die auf der Illusion eines europäischen Volkes basieren und deshalb ohne demokratische Legitimität blieben. Er beschwor auch die Gefahr, dass das heutige Deutschland „die historische Erinnerung des 20. Jahrhunderts auslöschen“ könnte, die es einst dazu gezwungen habe, seine Ambitionen zu beschränken. Dies könne Berlin Raum für seine angeblichen hegemonischen Pläne eröffnen, die EU auf institutionellem Weg zu beherrschen, d.h., durch die Entwicklung eines Bundesstaats (man vergleiche die kürzlich genutzte Metapher vom „Vierten Reich“). Bezeichnenderweise war die AfD nicht zu diesem Treffen eingeladen. Plant Kaczyński die Bildung einer nicht nur illiberalen, sondern anti-deutschen Koalition in Europa? Jedenfalls sind Vorbehalte und Misstrauen die Bedingungen, mit denen sich Kanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock auseinandersetzen müssen.

Heute vergeht kein Tag ohne scharfe Kritik an Deutschland in den öffentlichen Medien Polens.

Ihre ersten offiziellen Besuche fanden in einer oberflächlich höflichen Atmosphäre statt. Annalena Baerbock wurde am 10. Dezember von Präsident Andrzej Duda begrüßt und später von ihrem polnischen Amtskollegen Zbigniew Rau empfangen. Raus Haltung war höflich, wurde von einigen Kommentatoren jedoch als „herablassend“ beschrieben. Als junge Frau und Vertreterin einer Partei, die für die polnische Politik fast exotisch wirkt, wird es für Annalena Baerbock immer doppelt schwer sein, in konservativen Kreisen gehört und ernstgenommen zu werden. Aber sie ließ sich nichts anmerken und beschwichtigte ihren Gastgeber durch die Betonung von Passagen aus dem Koalitionsvertrag zur tiefen deutsch-polnischen Freundschaft und ihrer Skepsis gegenüber Putins Russland. Zwei Tage später traf Kanzler Olaf Scholz den polnischen Premierminister Mateusz Morawiecki. Es war ein Gespräch auf Augenhöhe, ohne Herablassung. Dennoch verdeutlichte auch dieser Austausch den Graben zwischen Berlin und Warschau.

Beide Treffen zeigten, dass mehrere Punkte die bilateralen Beziehungen schwer belasten. Erstens die Zukunft von Nord Stream 2. Polen betrachtet die Gaspipeline seit langem nicht nur als strategische Bedrohung der europäischen Energiesicherheit. Polen fühlt sich auch an historische Abkommen zwischen Deutschland und Russland erinnert – abgeschlossen über die Köpfe der dazwischen liegenden Staaten hinweg. Angesichts des steigenden Drucks Wladimir Putins auf die Ukraine ist die Pipeline heute noch umstrittener. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bezeichnete sie offen als „gefährliche geopolitische Waffe“. Die neue deutsche Regierung muss schnell daran arbeiten, einen nachhaltigen, langfristigen Konsens über das Vorhaben innerhalb der Koalition herzustellen und die östlichen Nachbarn zu beruhigen.

Vorbehalte und Misstrauen sind die Bedingungen, mit denen sich Kanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock auseinandersetzen müssen.

Zweitens geht es darum, in Sachen EU Erwartungsmanagement zu betreiben. Die polnische Regierung, die gerade das Justizwesen umbaut, hat weder Verständnis für die Aufforderung, zur Rechtsstaatlichkeit zurückzukehren, noch ist sie willens ihr Folge zu leisten. Zudem ist eine weitere Entwicklung in Richtung eines europäischen Bundesstaats genau das Gegenteil von dem, was die derzeitige polnische Regierung anstrebt. Zugleich hat Polen seit Kurzem eine neue Rolle übernommen, in dem es die Außengrenzen der EU gegen die rücksichtslose Rache des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko schützt, der Migrationsbewegungen als Waffe einsetzt. Auch wenn es auf diesem Gebiet Gelegenheit zur konstruktiven Kooperation gibt, ist doch offensichtlich, dass Berlin und Warschau Brüssel in entgegengesetzte Richtungen ziehen wollen.

Drittens spielt die polnische Regierung die Geschichtskarte. 76 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs will sie ein Institut für Kriegsverluste gründen, das „den [finanziellen] Ausgleich der deutschen und sowjetischen Besatzung“ betreiben soll. Mit einer solchen Institution wird nicht nur die Geschichte für politische Zwecke instrumentalisiert. Sie ist auch Ausdruck der geopolitischen Fantasie der polnischen Nationalkonservativen. „Das Land von seinen Knien erheben“ ist das Leitbild ihrer Außenpolitik. So theatralisch dies auch klingen mag, diese Forderungen werden die polnisch-deutschen Beziehungen für lange Zeit belasten.

Weder belanglose Geschichten über persönliche Verbindungen zu Polen noch neue Denkmäler werden die harte Linie der PiS gegenüber Deutschland jemals aufweichen.

Im Hintergrund gibt es sicherlich weitere Themen, welche die wachsende Entfremdung zwischen Warschau und Berlin zeigen. Dazu zählt der Streit über den Polnischunterricht sowie den Status von Polinnen und Polen in Deutschland. Oder auch die abweichenden Positionen zur Klima- und Energiepolitik, insbesondere zum Kohleausstieg und Plänen für neue Atomkraftwerke. Es ist zu erwarten, dass der deutsch-polnische Dialog auf der diplomatischen Ebene kühl und reserviert bleiben wird. Weder belanglose Geschichten über persönliche Verbindungen zu Polen noch neue Denkmäler werden die harte Linie der PiS gegenüber Deutschland jemals aufweichen.

Trotz allem haben der Handel und die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Ländern darunter bislang nicht gelitten. Hoffen wir, dass auch die Herzen der Menschen verschont bleiben und dass die jahrzehntelange Versöhnungsarbeit fortdauert. Sie wird notwendig sein, um diese Beziehung mit positiver Energie neu zu beleben, wenn sich das Blatt eines Tages wieder wendet.

Ein Beitrag von Maria Skóra.

Dr. Maria Skóra ist Managerin des Centre for Sustainability an der Hertie School. Zuvor leitete sie beim Think Tank Das Progressive Zentrum den Programmbereich Internationaler Dialog. Aus dem Englischen von Thomas Greven. www.ipg-journal.dewww.fes.de 

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