Prag | Drei Städteperlen vor Prag |
Wer in Prag die Stille sucht, der findet vor den Toren der Goldenen Stadt drei Städteperlen voller Charme und Geschichte
Knapp zwei Bahn oder Autostunden von Prag entfernt recken drei als UNESCO-Weltkulturerbe geadelte Städteperlen selbstbewusst ihre Türme in den Himmel. Zwar sind Kutná Hora, Litomysl und Olomouc kleiner und auch nicht so bedeutungsvoll wie die Moldaumetropole. Dafür lässt dort ein geruhsames Flair keinen Raum für Hektik.
Über Jahrhunderte haben die tschechischen Städte mit den aufgehübschten bunten Häuserensembles ihren Charme bewahrt. Wenn Touristen durch Prag schieben und drängeln, bieten die Architekturgrazien im böhmisch-mährischen Vorhof der Hauptstadt stille und freie Plätze inmitten prachtvoller Renaissance- und Barockarchitektur. Manchmal führen dort Wege unverhofft zu ganz merkwürdig skurrilen „Sehenswürdigkeiten“…
Gotisches Prachtexemplar: Der 500 Jahre alte Dom der heiligen Barbara in Kutná Hora
Vom Bahnhof in Kutná Hora (Kuttenberg) ein kurzer Spaziergang, und der Flaneur steht - vor einem Haufen Knochen. Plakativ wirbt die ehemalige Königsstadt mit ihrer Geschichte als reiche Bergwerk-Stadt, mit einem Silbermuseum oder mit dem Dom der heiligen Barbara, zu dem eine von imposanten Heiligenfiguren gesäumte Panoramaterrasse strebt. Bizarrster Zeitzeuge mit garantiertem Aufmerksamkeitswert ist jedoch eine schummerige „Knochenkirche“. Nicht alte Silbermünzen, vielmehr Touristen lassen heute die Kassen der ehemaligen Schatzkammer Böhmens klingeln.
Ganz schön finster. Eine Steintreppe führt in ein Kellergewölbe, der „Sarg“ für 40 000 menschliche Knochen und Totenschädel ist. Jede Rippe, jedes Gelenk ist seiner ursprünglichen Funktion enthoben zu einem neuen sakralen „Körper“ arrangiert. Typisches Kircheninventar, das anderswo blitzt und glänzt, erfasst den Besucher hier mit einem Gefühlsmix aus Schauder, Grusel und Staunen. Aus Gebeinen wurden Kelche, Leuchter und Monstranzen als morbide, manchmal kunstvolle Schauobjekte modelliert. Von der Decke starren unverhofft aus dunklen Augenhöhlen Totenköpfe herab. Auf einem Turm aus Schädeln hocken trompetende Engel, und von der Deckenwölbung nebenan baumeln Toten-Kopf-Girlanden über den Häuptern der Lebenden. Eine Historikerin erzählt, das „Inventar“ stamme aus geöffneten Gräbern vom Klosterfriedhof in Kutná Hora. Ein Mönch habe die Knochen dann in einer Kapelle planvoll sortiert. Als später eine Fürstenfamilie das Klostervermögen erwarb, erhielt 1870 ein Holzschnitzer den Auftrag, mit den exhumierten Skeletten die Knochenkapelle einzurichten.
Anspruch der makaberen Inszenierung sei die Auseinandersetzung mit Leben und Wiederauferstehung. Hmmm. Vergeblich fragt sich manch Besucher, wie eine Auferstehung gesammelter Körperteile funktioniert. Holt sich das Sprungbein die Kniescheibe vom Kronenleuchter, der an der Wand hängt? Oder schnappt sich die Rippe die Hüfte unter der Decke? Stolz ergänzt die Historikerin, dass laut einer amerikanischen Untersuchung das Beinhaus in Kutná Hora eine der drei gruseligsten Orte der Welt sei. Englands Rockmusiker „Ozzy“ Osbourne wollte in der Gruft sogar übernachten und sie als Plattencover in Szene setzen. Durfte er aber nicht.
Historischer Kern von Litomysl ist der 500 Meter lange Smetanovo-Platz, einer der längsten Stadtplätze Mitteleuropas
Litomysl. Für einen Tagestripp mit Unterhaltungswert empfiehlt sich auch die Stadt Litomysl (Leitomischl) im böhmisch-mährischen Bergland. Wer seinen Augen Gutes tun will, der schlendert unter den Bogengängen bonbonfarbener Bürgerhäuser vom Hauptplatz „Smetanovo“ durch krumme Gassen bis hinaus hinauf zum Schlosshügel.
Die spannendsten Plätze in dem prachtvollen Renaissance-Schloss sind kühle, weitläufige Gewölbekeller. Mit Hilfe eines Audioguides führt Olbram Zoubek durch seine Skulpturen- und Bilderausstellung. Der vor sechs Jahren verstorbene Meister galt bis zum „Prager Frühling“ als ein Pionier der tschechischen Kunstszene. Ein ebenso begehrtes Fotomotiv ist eine Arbeit von zwei anderen Freigeistern. Aus 2000 Kilogramm Wachs jener Kerzen, die Menschen nach Václav Havels Tod 2011 entzündet hatten, formierten die Künstler die Skulptur „Ein Herz für Václav Havel“.
„Litomysl ist kein Kurort, aber Kur für den Geist“, hatte Reiseführerin Jana gesagt. Geister, Gnome und Teufel tummeln sich nahe dem Schloss und seiner verschwiegenen Klostergärten in einem geduckten Häuschen in der Prkenná Gasse. Hinter dessen blassblauen Mauern öffnen sich Innenwände, die es an sich haben. Wow, welch ein Farbenrausch. „Portmoneum“ heißt das kleine Josef-Váchal-Museum. Der Spleen eines Beamten hat Váchals Werk ein Denkmal gesetzt. Anfang der 1920er Jahre ließ der Kunstsammler die Räume seines Wohnhauses mitsamt allen Möbeln von dem Maler und Schriftsteller Váchal ausmalen. Freilich, Zeit und viel Fantasie ist Voraussetzung, um aus den ideensprühenden Wandbildern Lebensanschauungen und religiöse Anspielungen des humorvollen Spiritistikers sowie Autors des sprachverliebten, genreplündernden Kultbuchs „Der blutige Roman“ herauszulesen.
Wenn gegenüber im Wirtshaus eine Maß Bier die Kehle gekühlt hat, gibt es zurück auf dem Schlossareal einen Hörgenuss nach Noten. Musik von Friedrich Smetana (1824-1884) begleitet in der ehemaligen Schlossbrauerei den Rundgang durch die elterliche Wohnung des Komponisten. Fehlende Möbelstücke wurden mit Einrichtungsexponaten aus jener Zeit ergänzt. Anlässlich der Geburt seines Sohnes ließ Vater und Bierbrauer Frantisek für seine Arbeiter ein Bierfass auf den Hof rollen. Sechs Jahre später hatte Frantisek abermals Grund, ein Fass aufzumachen. Obwohl Friedrich später ein grauseliger Schüler war, spielte der Begründer der tschechischen nationalen Musik bereits mit vier Jahren Geige und trat mit sechs Jahren in Litomysl bei seinem ersten Klavierkonzert auf.
Während der Sommermonate ist Olomouce Schauplatz für Stadtfeste und Aufführungen
Olomouce. Von der Wiege Smetanas sind es auf Straße oder Schiene 75 Kilometer ins tausendjährige Olomouce (Olmütz). Hier begann ein anderer Knabe, die Welt zu verzaubern. Glück gehabt. In der in der Maria-Schnee-Kirche musiziert gerade Ladislav Kunc. Der Cheforganist spielt regelmäßig auf exakt derselben Orgel, die vor 259 Jahren der 11-jährige Mozart bediente bevor er in der Barockstadt seine 6. Symphonie komponierte. Zu dieser Zeit war die Familie Mozart mit dem kleinen Wolfgang vor einer Pockenepidemie aus Wien nach Mittelmähren geflüchtet.
Ladislav Kunc ist nicht nur Mozart-Kenner sondern auch Lokalpatriot. Olmütz nennt er die „schönste Stadt“ in Mähren. Um die alte Festungsstadt in ihrer ganzen Pracht zu überblicken, empfiehlt er den Aufstieg über 144 Stufen auf den Rathausturm. Tief unten bringen ein paar Touristen ihre Handys für ein Selfi vor der monumentalen Pestsäule in Stellung. Um die Kathedrale herum, vor reich verzierten betagten Gebäuden mit Türmen und Kuppeln sowie zwischen den sechs gewaltigen Stadtbrunnen, an denen schon Sigmund Freud und Gustav Mahler verweilten, scheinen Hektik und Trubel Siesta zu halten.
Die Zeiger der vom sächsischen Uhrmacher Anton Pohl gebauten astronomischen Uhr zeigen 13 Uhr. Zeit, sich kulinarischen Genüssen der böhmisch-schlesischen Küchen zu nähern. Ganz wurscht, ob Sauerkrauteintopf, Schwemmklößchen oder Kalbsrouladen: Die lokale Spezialität „Quargel“ mit Bier und Brot sollte niemand links liegen lassen. Wer allerdings auf der Rückfahrt Appetit auf den sehr pikant-aromatischen Milchkäse mit Rotschmiere bekommt, der verduftet besser aus dem Zugabteil.
Galerieweg mit Aussicht vor dem Jesuitenkolleg in Kutná Hora
ReiseTravel Service
Anreise: Vom Prager Hauptbahnhof fahren mehrmals täglich Schnellzüge und Regionalbahnen in die böhmischen UNESCO-Städte. Tickets für eine einfache Fahrt kosten zwischen sechs und 14 Euro. Auch ab Deutschland mit der Bahn www.bahn.de oder mit Flixbus www.flixbus.de
Beste Reisezeit: Frühjahr bis Herbst
Unterkünfte: Hotel Opat (Kutná Hora) www.hotelopat.cz Hotel Zlata Hvezda (Litomysl) www.zlatahvezda.cz Hotel Theresian (Olomouch) www.Theresian.cz
Informationen: Da die Städte erst nach und nach aus dem touristischen Schatten Prags heraustreten, gibt es über sie noch keine ausführlichen Reiseführer. Sehr übersichtliches deutschsprachiges Informationsmaterial kann bei der Tschechischen Zentrale für Tourismus, Wilhelmstraße 44, 10117 Berlin, bestellt werden. www.czechtourism.com
Probieren: Deftig: Mit Speck gespicktes Rindsfilet in Sahnesoße, dazu Semmelknödel. Würzig: Kobása-Fleischwurst. Herzhaft: Saure Linsen. Nachtisch: Knödel mit Fruchtmus.
Ein Beitrag mit Fotos für ReiseTravel von Manfred Lädtke.
Unser Autor lebt und arbeitet in Karlsruhe.
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