Recklinghausen

Kunst gegen Kohle Kohle gegen Kunst zur Eröffnung Ruhrfestspielhaus

Kunst gegen Kohle: Die westfälische Stadt Recklinghausen liegt im nördlichen Ruhrgebiet und zählt heutzutage knapp 116.000 Einwohner, international bekannt ist sie durch die Ruhrfestspiele. Die heutigen Theateraufführungen, die im Rahmen der Ruhrfestspiele stattfinden, werden seit 1965 auf der Bühne des Ruhrfestspielhauses ausgetragen, die Anfänge dieses Theaterfestivals gehen aber viel weiter zurück. Im bitterkalten Nachkriegswinter 1946/47 kamen frierende Schauspieler aus Hamburg ins Ruhrgebiet und bettelten um Kohle für ihre Theater und Opernhäuser. Die angesprochenen Bergleute in Recklinghausen erwiesen sich auch als Kaufleute und fragten die norddeutschen Künstler, was sie denn anzubieten hätten für die Kohle. Begehrt waren Tabakwaren, Speck, Eier, Winterkleidung; worauf die Kulturschaffenden nur antworten konnten, außer der Kleidung am Leibe habe man gar nichts. Die Männer aus dem Ruhrgebiet waren hilfsbereit und gaben die Kohlen den Hanseaten ab unter der Bedingung, diese gegen „Kunst“ einzutauschen. „Ihr seit Schauspieler, Pantomimen, Opernsänger, also tretet ihr für uns kostenlos hier auf und ihr könnt Kohle mitnehmen“, so ein Sprecher der Bergleute. Die Künstler gingen bereitwillig auf den Vorschlag ein und so spielten 150 Darsteller für die Kohlenlieferanten und deren Familienangehörige; was nur einen Winter andauern sollte, wurde auf 2 Jahre ausgedehnt und dann stellen beide Seiten verblüfft fest, aus dem Handel „Kunst gegen Kohle – Kohle gegen Kunst“ wurde eine Freundschaft.

RecklinghausenIm Ruhrgebiet hielten die Veranstalter die Eintrittspreise bewusst im untersten Segment, um Arbeitern den Besuch der Ruhrfestspiele zu ermöglichen. Heutzutage sind die Stadt Recklinghausen und der Deutsche Gewerkschaftsbund zu je 50 Prozent gleichberechtigte Partner und Ausrichter dieses international hoch angesehenen Theaterfestivals. Der Hamburger Bürgermeister Max Brauer (SPD), der von 1887 bis 1973 lebte, kam aus Dankbarkeit für die Unterstützung der Künstler aus seiner Stadt zur 1. Aufführung der Ruhrfestspiele und sprach von „Festspielen im Kohlenpott vor den Kumpels. Ja, Festspielen statt in Salzburg in Recklinghausen“.

Hier sei angemerkt, dem Bürgermeister hatten die Bergleute gestattet, sie mit Kumpel anzureden. Der Bergmann Karl beispielsweise redet den Bergmann Gustav mit „Kumpel Gustav“ an, dieser antwortet mit „Kumpel Karl“, bis heute verwehren sich die auf Tradition bedachten Bergleute dagegen, wenn Außenstehende sie auch mit Kumpel anreden; Max Brauer wurde dieses Privileg gestattet. Der erste Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, Prof. Theodor Heuss, der von 1949 bis 1959 im Amt war, fand den Gedanken, Theater nicht nur in Universitätsstädten und Beamtenhochburgen sowie Kaufmannsstädten zu spielen für sehr gelungen und war Gründungsmitglied des Vereins „Freunde der Ruhrfestspiele.“

Das Ruhrfestspielhaus eröffnete seine Tore 1965 mit dem Werk der „Mutter Courage“ von Bert Brecht, an der Aufführung nahmen gleich zwei Wiener Schauspieler teil. Der Weltstar Lotte Lenya wurde begeistert in Recklinghausen aufgenommen; immerhin wirkte die gebürtige Wienerin 1961 in dem Hollywoodfilm „Der römische Frühling der Mrs. Stone“ mit und brachte es auf eine Oscar Nominierung als beste weibliche Nebendarstellerin. 1963 wollte Lotte Lenya als „KGB Offizierin Rosa Klebb“ in dem James Bond Film „Liebesgrüße aus Moskau“ den Geheimagenten 007, dargestellt von Sean Connery, mittels einer vergifteten Nadel, der in ihrer Schuhspitze versteckt war, ermorden.

Der Wiener Schauspieler Hanns-Ernst Jäger spielte in dem Brecht Stück den „Koch“; der zu den besten Darstellern auf deutschsprachigen Bühnen zählende Mime blieb den Ruhrfestspielen nach der Eröffnung treu und trat bereits ein Jahr später wieder bei diesem Theaterfestival auf, diesmal in der „Hexenjagd“ von Arthur Miller. Im darauffolgenden Jahr, also 1967, kam Hanns-Ernst Jäger erneut zu den Ruhrfestspielen, da als „Braver Soldat Schwejk.“

Das Ruhrfestspielhaus konnte im Laufe seiner Zeit viele hochkarätige Stars begrüßen, so den als Derrick Darsteller bekannten Horst Tappert, Günter Strack, Volker Lechtenbrink oder beispielsweise Walter Richter, der als „Tatort Kommissar Trimmel“ aus Hamburg die ARD Serie „Tatort“ mit dem Streifen „Taxi nach Leipzig“ eröffnete. Hollywoodstars geben sich beinahe die Klinke in die Hand; so traten 2007 Kevin Spacey und Greg Wise bereits bei den Ruhrfestspielen gemeinsam auf, ebenso Jeff Goldblum und wiederum Kevin Spacey 2008. Oscar Preisträgerin Cate Blanchett führte in Recklinghausen Regie, zur Aufführung kam David Harrower mit seinem Stück „Blackbird.“ 2009 traten gemeinsam Rebecca Hall und Ethan Hawke bei den Ruhrfestspielen auf, 2010 spielte Hollywoodgröße John Malkovich den „Frauenmörder Jack Unterweger.“ Mit ca. 80.000 Besuchern zählen die immer im Mai stattfindenden Ruhrfestspielen zu den ganz großen Theatermagneten, die weit über das Ruhrgebiet und Deutschland hinaus auf Theaterfreunde treffen. www.ruhrfestspiele.de - www.recklinghausen.de 

Anreise: Recklinghausen ist sehr gut erreichbar, der Hauptbahnhof bietet direkte Verbindungen nach Hamburg, Dortmund, Münster, Essen, Düsseldorf, Köln. Die nächstgelegenen Flughäfen sind Münster, Dortmund, Düsseldorf; die Autobahn Oberhausen nach Hannover kreuzt Recklinghausen.

ReiseTravel Fact: Das Ruhrfestspielhaus in Recklinghausen steht für ein anderes Sinnbild, wenn von „Kohle und Kunst“ die Rede ist. Von Brecht, mit dem das Ruhrfestspielhaus 1965 eröffnete, stammt der Ausspruch: „Kunst geht nach Brot“, 1946 ging Hamburger Kunst nach Recklinghäuser Kohle. Diese kulturelle Tradition wird bis heute erfolgreich gepflegt und kontinuierlich ausgebaut.

Ein Beitrag mit Fotos für ReiseTravel von Volker-T. Neef.  

Volker T. Neef  

Unser Autor berichtet aus der Bundeshauptstadt und ist in Berlin wohnhaft.

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