Prien | Malen am Chiemsee |
Wenn weiße Nebel über dem Chiemsee schweben und die Morgensonne ihren Farbreigen über die hügelige Landschaft und blaue Alpenkette streut, dann „leuchtet“ der Chiemgau: Auszeit am See!
Malerische Ferien: Wie vor 200 Jahren die Chiemseemaler, sind heute an solchen Tagen Hobbykünstler mit Staffelei, Pinsel und Farben an den Seeufern unterwegs und lassen sich von der stimmungsvollen Naturlandschaft inspirieren. Wer Aquarellmalerei noch nicht beherrscht, schließt sich einem Malkurs an. Mit der Feststellung, dass ein Blick in kunsthistorische Vergangenheiten die Sensibilität für das eigene kreative Tun schärft, führt Petra Habenstein ihre Kunstschüler zum Schiffsanleger in Prien.
Ein gellendes „Tuuut“ zerreißt die Stille. Das Ausflugsschiff nimmt Kurs auf die Herreninsel. Dort arbeiteten zwar Maler wie Wilhelm Trübner und Carl Schuch, wirklich interessant für die Farbpoeten war die Insel aber vor allem wegen der „malerischen“ Sicht auf die benachbarte idyllische Fraueninsel.
Entstanden waren die Künstlerkolonien freilich nicht aus Sehnsucht nach Romantik, sondern aus einem schlichten Interesse der Herrscher in München. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war König Maximilian neugierig, wie in seinem 1806 mit Napoleons Hilfe entstandenen Reich das Landleben so aussah. Der Hof schickte Maler und Schriftsteller mit dem Auftrag über den See, Sitten, Brauchtum und Alltagsszenen zu dokumentieren. Aus den Bildnotizen entwickelte sich nach dem Vorbild der französischen Impressionisten von Barbizon die Landschaftsmalerei, die später auf handelnde Personen verzichtete. Keine großen Ölschinken waren mehr gefragt, sondern Skizzen und intime Formate für den leichten, praktischen Transport und Dekorationsbedarf in bürgerlichen Wohnzimmern. Die zeitgleiche Erfindung der Farbtube war quasi der Beschleunigungsmotor für die gefragten neuen Kunstprodukte.
Ausstellung
Im Augustiner-Chorherrenstift auf Herrenchiemsee sind die Werke der berühmtesten Malerkolonisten ausgestellt.
Eine Dauerausstellung im Augustiner Chorherrenstift im Alten Schloss erinnert an die Entwicklung der Malerei am See von 1790 bis zum Zweiten Weltkrieg. Vom Schloss geht der Blick hinüber zur Fraueninsel, die vier junge Künstler 1828 als Motiv für ihre Sehnsucht nach vollkommener Schönheit entdeckten. Max Haushofer, Franz Trautmann sowie die Brüder Boshart fanden im Wirtshaus „Zur Linde“ ein zünftiges Quartier. Andere Zeitgenossen wie Eduard Schleich, die „Inselkönige“ Joseph Wopfner und Karl Raupp oder Julius Exter folgten den Pionieren, um sich in schöpferischer Bildkraft auszuleben. Beschauliche Uferszenen, weite Moorgebiete, der Alltag von Fischern und Landleuten, Stürme, Gewitter oder das wechselhafte Spiel von Licht und Wolken waren das Bühnenbild für täglich neue Farbinszenierungen. Aber nicht alle Maler ließen sich vor der Staffelei an einem Seeufer oder in einem Boot die lauen Lüftchen um die Nase wehen. Karl Raupp zum Beispiel reichten auch schon mal ein paar schnelle Skizzen. Dann platzierte er einen Fischerkahn ins Atelier und brachte expressive, lebhafte Fantasieansichten zu Papier - die der Realität freilich nicht immer standhielten. Mit seinem Anspruch, zu zeigen „wie hold die Heimat am bayerischen Meer ist“ schuf er jedoch ein Genre, das ihm den Namen „Chiemsee-Raupp“ eintrug.
Inzwischen hatten Haushofer die Wirtstochter und ein Malerkollege deren Schwester geheiratet. Die Hochzeitsfeier war Beginn für ausschweifende Feste und Zechgelage auf der Fraueninsel. In der rustikalen Wirtsstube der „Linde“ lassen sich heute Gäste gerne an jenem Stammtisch fotografieren, an dem sich einst die Herren Künstler am Leben satt tranken.
Im sogenannten Prälaturstock des Alten Schlosses sind 150 mystisch-dunkle bis farbensprühende Landschaften, Akte und Stillleben des Landschaftsmalers Julius Exter Zeugen einer vitalen Farbenpracht im Malerparadies. In Übersee-Feldwies hatte sich der unter Kollegen als „Farbenfürst“ gefeierte Königliche Professor ein Bauernhaus für seine später europaweit bekannte Malschule gekauft. Beim Rundgang durch Studierstube und Atelier meint man, der Meister höchstpersönlich tauche jeden Moment in einem der schmalen Gänge auf. Indes war die sittsame Landbevölkerung den Freigeistern nicht überall und immer wohlgesonnen. So machte von Exters Malschule die Anekdote die Runde „man habe gesehen, wie sich schamlose Weiber ganz nackt malen ließen“. Inspiration holte sich Exter zudem von seinem Vorbild Monet. Vor der Ateliertür ließ er in einem weitläufigen Garten jedes Jahr eigene üppige Blumenkompositionen anlegen. Nach Gemälden und Dokumenten hat die Bayerische Schlösserverwaltung das 500 Jahre alte Anwesen restauriert und den prachtvollen Garten für die jährlich rund 14 000 Besucher wieder hergestellt.
Als die Hobbymaler zu einer kleinen Bucht am Herrenchiemsee hinab steigen, liegen dort Malutensilien schon bereit. Das Landschaftsmotiv könnte plakativer nicht sein. Den weiten Blick auf die Fraueninsel begrenzen stattliche Trauerweiden sowie links und rechts ein Bootssteg. Draußen auf dem silbrig schimmernden Wasser kreuzen Segelschiffe vor dem winzigen Eiland mit seinem prägenden Campanile und 1200 Jahre alten Münster. Wie ein luftiges Leinentuch wölbt sich ein mattblauer Himmel über die Szenerie und gibt den dominierenden Farbton an den Staffeleien vor. Blau verleiht dem Aquarell Tiefe, weiß Petra Habenstein, rot wirke näher.
Dann geht es los. Damit sich der Malbogen nicht wellt, wird er zunächst genässt und auf einem Brett befestigt. Erst müsse die Bildkomposition im Kopf entstehen, dann sei das Motiv mit feinen Bleistiftstrichen vorzuzeichnen. Um zum Beispiel die Proportionen des weit entfernten Campanile festzulegen, „haltet in Augenhöhe den Bleistift neben den Turm. So könnte ihr die gemessene Höhe anschließend auf das Papier übertragen“, rät die Kunstlehrerin. Ganz allmählich werden aus vorsichtig aufgetragenen Farbkompositionen lichtvolle Bilderbogen. Passanten wagen einen flüchtigen Blick, andere zücken ihre Kamera. „Nicht im Wasser! Tippen Sie den Pinsel besser auf einem Lappen ab, sonst verlaufen die Farben unkontrolliert“, empfiehlt eine vornehme Dame. Sie kennt sich aus.
Abendstimmung
Romantisch und kitschig schön: Sonnenuntergang in einer der Hippen Strandbars in Übersee.
Die nächsten Tipps hat wieder Petra parat: „Kleine Wölkchen entstehen durch Abtupfen der blauen Farbe mit einem Taschentuch. Für weiße Segel spart einfach Dreiecke farblich aus.“ Zum Herausarbeiten einer individuellen Note dürfe man aber auch schummeln und Szenen heran zoomen oder Farbvorlieben frönen“, macht die Kursleiterin Mut.
Die Bäume in Pink und eine Nixe im See? „Nix dagegen. Ihr seid der Boss!“
Talent? Ist hilfreich, sagt Josef Feistl. Aber eigentlich könne man aus jedem Menschen Kreativität heraus kitzeln. Wichtig seien Einstellung und Wille. In seinem Landhaus in Aschau treffen Kunstinteressierte den Landschaftsmaler und Akademiedozenten am Rande eines Waldes und plätschernden Baches. Feistl knüpft an die Tradition der Chiemseekolonisten wie Exter und Wopfner an. Wild und Wald sind seine Motive, die er fotografiert und anschließend in der Malstube mit Pastellkreide, Öl und Acryl ein Gesicht gibt. Bei einem Atelierbesuch fallen auf den Bildern immer wieder Flüsse, Seen und Bäche auf. „Schaust Du ins Wasser, entdeckst Du einen Mikrokosmos des Universums.“ Diese dümpelnde, verschleiernde, sich ständig neu erfindende Erscheinung übe einen magischen Reiz auf Maler aus, findet Josef Feistl.
ReiseTravel Service
Auskünfte: www.chiemsee-alpenland.de
Anreise: Mit der Bahn bis Prien/Chiemsee (ab 29 Euro).
Malkurse sind buchbar unter www.colori-art.de sowie www.lacunadelarte.de
Unterkünfte: Im Kloster-Frauenwörth ab 3 Tage 50–70 Euro / VP/ Etagendusche p.P. www.frauenwoerth.de
Sehr schön gelegen ist die Familienpension König in Rottau. Doppelzimmer rund 60 Euro. www.cafe-koenig-rottau.de Im Inselhotel „Zur Linde“ auf der Fraueninsel kostet das Doppelzimmer ab 135 Euro. www.linde-frauenchiemsee.de
Schifffahrten: www.chiemsee-schifffahrt.de
Atelierbesuch beim Kunstmaler in Aschau: www.franzfeistl.de
Chiemseemaler-Galerie: www.herrenchiemsee.de
Exter-Haus: www.schloesser.bayern.de
Restaurant-Tipp: Das über 200 Jahre alte neu restaurierte ländliche „Gasthaus Feldwies“ mit Biergarten in Übersee bietet deftige bayerische Speisen. Probieren: Wirtshausgulasch vom bayerischen Jungbuller mit Semmelknödel.
Literatur: Aquarellmalerei, Christophorus im Verlag Herder, 12,90 Euro. Oberbayerische Seen, Michael Müller Verlag, 16,90 Euro.
Ein Beitrag mit Fotos für ReiseTravel von Manfred Lädtke.
Unser Autor lebt und arbeitet in Karlsruhe.
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